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Wie wir zum Beispiel mit den Kleinen verfuhren, war wenig anständig (ich spreche vom Großteil unserer Klasse und von den Ältern, die knapp vor der Matur standen, die sie in Zürich machen mussten). Entweder existierten sie gar nicht für uns, diese Kleinen, oder sie waren psychologische Studienobjekte. Es war interessant zu beobachten, wie sie sich verhielten, wenn man an einem Tag ihnen mit Interesse begegnete, um sie am nächsten Tage fallenzulassen. Eine schottische Dusche, psychologisch gehandhabt, warm, gleich darauf eisig kalt. Sie mussten uns ihre Träume erzählen, und diese dann durchzusprechen war geradeso interessant wie die chemischen Versuche, die wir im Labor machten.

Das klingt reichlich zynisch, aber ich kann Ihnen nicht helfen. Die goldne Jugendzeit, die, ach so weit, so weit entschwunden ist, wie es im Liedchen heißt, sie war gar nicht so golden. Sie war manchmal reichlich gemein, wir wollen es eingestehen. Hatte man uns daheim eigentlich besser behandelt, war dort nicht auch die schottische Dusche Trumpf? Wenn ich an die Besuche denke, die die Eltern manchmal machten! Man kroch fast in sich zusammen, weil man sich schämte, vor sich, vor den andern. Es gab Ausnahmen, rühmliche Ausnahmen, sicher, aber an diese erinnere ich mich nicht. Geheult habe ich im Heim eigentlich nur, wenn mein Vater mich besuchen kam. Aber das war vielleicht meine Schuld. Schuld? Wer will da von Schuld sprechen? Ich denke an Daniel, der aus Königsberg stammte, ein guter Mathematiker, ein ausgezeichneter Schachspieler, daneben unbeholfen, und den wir quälten, weil er so hilflos war. Und an den Besuch, den er einmal erhielt, von seinem Vater und seiner Stiefmutter! Der Vater, ein finniger Fettkoloss mit ewig feuchten Händen, die Stiefmutter aufgedonnert mit Pleureusen. Und gerade an diesem Nachmittag, es war ein Sonntag, las der Hott die Weber vor. Er las ausgezeichnet, ohne schwülstiges Pathos, und wir horchten sehr still. Dann war die Vorlesung zu Ende, und wir hockten alle stumm. Da steht Daniels Vater auf (was will er? Er wird doch nicht? Doch …), mit watschelndem Gang tritt er auf den Hott zu: «Also prima, Herr Doktor», sagt er mit einer Stimme, wie sie von Komikern gebraucht wird, wenn sie jüdische Witze erzählen wollen, «ich danke Ihnen, Herr Doktor, für den unauslöschlichen Genuss, den Sie gegeben haben, mir und meiner Frau. Und ich bin sicher, dass ich im Namen aller spreche, der Jugend, die hier versammelt ist …» das ging weiter und plätscherte wie Herbstregen, der Hott wurde langsam rot. Da rettete der Direktor die Situation, schob seinen Stuhl zurück, geräuschvoll, und machte mit lauter Stimme eine nebensächliche Bemerkung. Wir atmeten auf. Daniel saß da und knabberte an seinen Fingernägeln. Wir ließen ihn still sitzen. Nachher mussten wir sein Zimmer lüften. Seine Stiefmutter, die er Tante nennen musste, war so parfümiert, dass sie das ganze Zimmer verpestet hatte. Daniel? Was aus ihm geworden ist? Ich glaube, er ist im Weltkrieg gefallen.

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