Читать книгу Die Unbeirrbare. Wie Gertrud Heinzelmann den Papst und die Schweiz das Fürchten lehrte онлайн
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«Die Aussichten sind zwar nirgends rosig & wenn man dem allgemeinen Klagegeheul zuhören wollte, könnte man den Eindruck bekommen, es sei das Gescheiteste, in eine Schachtel zu kriechen & und den Deckel zu schliessen. – Ich hoffe aber, dass wenn ich einmal fertig bin, ich doch eine Stelle bekommen kann, & ich denke gar nicht zuletzt an Dich, dass Du mit Deinen vielen Beziehungen mich irgendwo platzieren könntest.»4
Beinahe drei Jahrzehnte später wird Gertrud Heinzelmann mit dieser Hoffnung, als sie in der Schweiz für sich keine Zukunft mehr sieht, zu ihrem Onkel reisen. In Rio de Janeiro lernt sie Bertha Lutz kennen, die in Brasilien für das Frauenstimmrecht gekämpft hatte und Gleichberechtigung als ein weltumspannendes Ziel versteht, das sie mit Hilfe der Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte verwirklichen will. Beflügelt von dieser Begegnung, misst Gertrud Heinzelmann die katholische Kirche mit dem Maßstab der Menschenrechte. Zum Zweiten Vatikanischen Konzil fordert sie 1962 die Zulassung der Frauen zu Priestertum und höheren Kirchenämtern. Sie prangert die Jahrhunderte alte kirchliche Frauenverachtung an und verlangt die Modernisierung des theologischen Frauenbildes. Ihre Forderungen brechen mit religiösen Traditionen und sind in der Geschichte der römisch-katholischen Kirche ein Bildersturm. Sie stehen am Anfang der feministischen Theologie. In Europa, Amerika und Afrika gerät ihre Eingabe an das Vatikanische Konzil in die Schlagzeilen und Amerikas Katholiken greifen ihre Gedanken bald auf. In Rom wird, nach kurzem Aufschrecken und einer päpstlichen Gegendarstellung, geflissentlich geschwiegen. In der Schweiz ergeht es Gertrud Heinzelmann wie der jüngeren Gymnasiumskollegin Iris von Roten, die für ihr Emanzipationswerk «Frauen im Laufgitter» nichts als gehässige und ehrverletzende Kommentare erntete. Das einzige Land in Europa ohne Frauenstimmrecht reagiert auf seine Kirchenkitikerin mit der Wut der Durchschauten. Im selben Jahr, als Gertrud Heinzelmann katholische Priesterinnen verlangt und an die Einhaltung der Menschenrechte erinnert, betrachtet die Schweizer Regierung das fehlende Frauenstimmrecht nicht als Verstoss gegen die Menschenrechte.