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Mein Haus (das natürlich nach wie vor ihm gehört) ist achtzig Jahre alt. Fünf Zimmer und zwei Mansarden, grosser Garten, bevorzugte Lage mit Blick in die Alpen. Unweit von hier, oben am Waldrand, befindet sich ein Bauernhof mit weidenden Kühen und Pferden. Sonja besitzt den Hausschlüssel, kommt oft auch unangemeldet, je nachdem auch wenn ich nicht da bin. An sich könnten wir ohne weiteres zusammenleben, Platz wäre genug vorhanden, doch sie will entschieden nicht. Einmal wöchentlich ist die Putzfrau da, Alicia, eine Spanierin; die Gartenar­beit besorgt ein Gärtner.

Ab und zu lade ich Bekannte zu einem gemütlichen Abendessen ein. Einer meiner regelmässigen Gäste ist Leon W., ein ehemaliger Klassenfreund, jetzt seit Jahren Dozent für Komparatistik. Er hat etwas Asketisches, kurz geschnittenes Haar und stahlblaue Augen. Übrigens der beste Gesprächspartner, den ich je hatte. Das liegt nicht nur an seiner Intelligenz, sondern an einer natürlichen Dialog-Begabung, die man bei so vielen vermisst, oft auch bei Studierten. Er stellt Fragen, oft unerwartete, er kann auch schweigen, kann vor allem aufmerksam zuhören, nicht nur aus Anstand, sondern aus menschlicher Neugier. Einmal hatte er mich an die Uni zu einem Kollo­quium eingeladen, hin und wieder schenkte er mir ein interessantes Buch, einmal eine Eintrittskarte für eine Opernaufführung. Ich schätze seine Offenheit, seine Spon­taneität, doch trotzdem muss ich gestehen, dass unsere Beziehung manchmal ein bisschen gefährdet war. Ich spüre seine intellektuelle Überlegenheit, leider oft auch seine Übellaunigkeit, einmal ist er freundlich, ein andermal unterschwellig gereizt, als ginge ich ihm auf die Nerven. Alles in allem ein ambivalentes Verhältnis, sodass ich mich manchmal frage, ob wir eigentlich Freunde oder Feinde sind. Nur ist es vielleicht so, dass eine Freundschaft von vornherein den Konflikt in sich birgt. Meine literarischen Erzeugnisse, etwa Zeitungsartikel, Kolumnen oder Skizzen, scheinen ihn nicht zu interessieren, jedenfalls erwähnt er sie nie, was ich ihm nicht übel nehme. Trotzdem muss ich sagen, dass mir gerade von seiner Seite eine kleine, wenn auch nur angedeutete Aufmerksamkeit guttun würde.

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