Читать книгу Zorn und Freundschaft. Max Frisch 1911-1991 онлайн

27 страница из 122

Drei Jahre vor dieser Stahl-Episode war Max ins kantonale Realgymnasium am Zürichberg eingetreten. Hier lernte er Werner Coninx, seinen wichtigsten Jugendfreund, kennen. Coninx war der Sohn einer sehr wohlhabenden Bürgerfamilie, die u.a. einen großen Verlag und die Zeitung Tages-Anzeiger besitzt. Werner und Max wanderten gemeinsam durchs Engadin, spielten Tennis, fuhren Ski – beides Upperclass-Sportarten zu jener Zeit. Werner öffnete Max auch geistige Welten; er kannte sich in Musik, Philosophie und Literatur aus. Doch nicht die künstlerische und geistige Avantgarde faszinierte ihn, Links-Hegelianer, Phänomenologen, Neutöner oder Surrealisten standen ihm fern. Coninx befaßte sich mit den Geistern, die im kultivierten Bürgertum damals bereits anerkannt waren, mit Spengler, Nietzsche, Schopenhauer, Bruckner, Mozart, Bach, mit Caspar David Friedrich, Corot, später mit Picasso und mit Hans Carossa, Gide, Strindberg.

Jahrzehnte später erlosch die Freundschaft ohne eigentlichen Bruch. Frischs Literatur verstörte und verärgerte Coninx. In Montauk erinnerte sich Frisch des Jugendfreunds über volle vierzehn Seiten: »Seine breiten Schultern; er ist sehr groß … In der Klasse war er immer der erste; kein Streber, er war intelligenter als die andern … Nach der Schule begleitete ich ihn nach Hause … Seine Eltern waren sehr reich. Das schien ihm aber unwichtig, kein Grund für Selbstbewußtsein … alles Oberflächliche war ihm zuwider. Er war ein philosophisches Temperament; ich staunte, was sein Hirn alles denken kann. Auch war er sehr musikalisch, was ich nicht bin … Ich schrieb für Zeitungen und war stolz, wenn die kleinen Sachen gedruckt wurden; mein Geltungsdrang, glaube ich, war das erste, was ihn an mir enttäuschte. Ich mußte Geld verdienen, das verstand er, doch was ich schrieb, das war ihm peinlich … Auch sein Urteil über bildende Kunst war ungewöhnlich, nicht bloß angelesen, es entsprang seiner eigenen Sensibilität. Ich träumte von W. Wenn ich ihn besuchte, kam das Dienstmädchen an die Türe, ließ mich höflich in der Halle warten, bis sie oben gefragt hatte, und dann hatte ich natürlich den Eindruck, daß ich störe, auch wenn W. mich nicht abwies … Er war ein herzlicher Freund, mein einziger Freund damals … Es gab nur eine Sache, für die ich nie dankbar war: seine Anzüge, die für mich eine Nummer zu groß waren. Meine Mutter konnte zwar die Ärmel kürzen, die Hosen auch, trotzdem paßten sie mir nicht. Ich trug sie halt, um W. nicht zu kränken … Es verdroß mich nicht, wenn er plötzlich mitten in einem Gespräch, seine Jacke wiedererkannte und feststellte, daß die englischen Stoffe sich eben tadellos halten … Ich litt nicht unter seiner Überlegenheit, solange wir unter vier Augen waren; sie war selbstverständlich … Was ohne W. aus mir geworden wäre, das ist schwer zu sagen. Vielleicht hätte ich mir mehr zugetraut, vermutlich zuviel … Ich begriff, daß W. meine Bücher nicht lesen konnte. Er hatte ein anderes Maß, dem ich nicht gewachsen sein konnte.«29 Abschließend urteilte Frisch: »Ich meine, daß die Freundschaft mit W. für mich ein fundamentales Unheil gewesen ist und daß W. nichts dafür kann. Hätte ich mich ihm weniger unterworfen, es wäre ergiebiger gewesen, auch für ihn«.30

Правообладателям