Читать книгу Meine weisse Stadt und ich. Das Bernbuch онлайн

104 страница из 119

Auf den Gleisen wimmelte es von Menschen, und als ich aus dem Zug stieg, schienen mich alle anzustarren. Ich zog meine Krawatte fest, rückte den Hut zurecht und strich den Regenmantel glatt. Was gaffen sie denn so?, fragte ich mich, tastete verstohlen nach meinem Hosenschlitz, um mich zu vergewissern, dass ich nicht vergessen hatte, ihn zu schließen, und überlegte, ob ihre Blicke meinen Mantel durchdringen konnten. Während ich mir einen Weg durch die Menschenmassen bahnte, erinnerte ich mich an die wenigen Kinder in Amsterdam, die mich angestarrt hatten, und wünschte, ich wäre wieder dort. Manche Leute lächelten und flüsterten et­was, als ich an ihnen vorbeikam, andere lachten. Lachen sie etwa über mich? … Liebe Güte! Ratlos stolperte ich die Treppe hinauf und spähte verwirrt nach rechts und links. Plötzlich hörte ich etwas Schreckliches. Mir brach der kalte Schweiß aus, mein Magen drehte sich um. Ich hatte das Wort Neger gehört.

Meine heftige emotionale Reaktion beruhte auf seiner Ähnlichkeit mit dem Wort «Nigger», einem abwertenden Ausdruck, der seit dem Beginn der Sklaverei das Leben aller Schwarzen in Amerika definierte. Er hat eine Geschichte, ein starkes eigenes emotionales Leben. Historisch ist es ein Begriff des Hasses und der Erniedrigung (des Selbsthasses und der Selbsterniedrigung unter Schwarzen), dessen Entwicklung Amerikas Geschichte von nationaler Entwicklung entspricht. Es ist ein negativ besetztes Symbol, mit dem die schwarzen Nobodys bezeichnet werden, die ein Zehntel der nationalen Bevölkerung ausmachen. Ein Wort, das die Grundlage definiert, mit der die Mehrheit der amerikanischen Weißen ihre Habgier, ihre Angst, ihren Provinzialismus und ihre Liebe zu diesem ihrem Nachbarn rechtfertigt.

Правообладателям