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So ging diese gefahrvolle, für mich so angenehme Zeit, nachdem sie viele Monate hindurch alle Gemüter in steter Aufregung erhalten, glücklich vorüber und der Vater schaffte nun die Zeitung wieder ab, auch erschienen bald keine Flugschriften mehr und ich wurde nicht mehr vom Webstuhl weg zum Vorlesen gerufen. Eine schreckliche langweilige Friedenszeit. Der alte gewaltige Widerwille gegen die Weberei regte sich mit verdoppelter Stärke und die Sehnsucht nach Büchern nahm all mein Sinnen gefangen. In dieser Not überwand ich endlich die Scheu, den Apotheker Hagger zu besuchen und ihn um gütiges Darleihen von seinem Überflusse anzugehen. Ich fand dann auch trotz meiner kleinen Person leidlich Erhörung und erhielt eine alte defekte Naturhistorie mit unbeholfenen Figuren und gelehrten weitschweifigen Anmerkungen. Damit war doch ein vielverheißender Anfang gemacht.

Hagger war eine sehr originelle Persönlichkeit. Als ich ihn kennen lernte, zählte er schon einige und sechzig Jahre; er war von hohem Wuchse, dürr und dünn; vom gebeugten Scheitel fielen die schneeweißen Haare lang und dicht herab, die er im Sommer und im Winter, zu Hause und im Freien unbedeckt trug; aus dem länglichen Gesicht sprang eine etwas rötlich angelaufene, ziemlich starke Nase hervor, unter buschigen Wimpern glänzten stetsbewegt kleine braune Augen, die er, flüchtige Momente ausgenommen, stets auf den Boden oder auf andere tote Gegenstände gerichtet hielt; er trug Kniehosen und Schnallenschuhe, einen Rock sah ich nie auf seinem Leibe und nur bei der strengsten Kälte ein gestricktes Wams, sonst ging er stets in bloßen Hemdärmeln und weit offener Weste, ohne Halsbinde. Seine Stimme näselte stark, er sprach langsam mit dem Ausdruck der Überlegenheit und Autorität; er sprach gerne, wenn man ihm ruhig zuhörte; Widerspruch ertrug er nicht leicht und pflegte dann entweder zu verstummen oder heftig zu werden. Er war verheiratet, lebte aber von seiner Frau getrennt mit einer Tochter zusammen, während seine Frau seinem jüngern Bruder die Haushaltung führte. Wie er in Grünau nicht seinesgleichen hatte, so stand er auch in gesellschaftlicher Hinsicht isoliert da; er besuchte weder Gemeinde- noch andere Versammlungen und lud niemand zu sich ein; Bücher und geheime Künste genügten ihm. So traf ich ihn an den Sonntagabenden, wenn ich aus der Kinderlehre kam, regelmäßig allein in der Stube hinter einem Buche sitzen und dieses Buch war in den meisten Fällen ein lateinisch-griechisches Testament, das er beständig auf dem Tische liegen hatte. Anfänglich zeigte er sich sehr einsilbig, bemerkte auch etwa ungehalten, ob ich denn glaube, er habe allezeit Bücher, die für mich paßten? Ich sei zu solchen Sachen wohl noch zu jung und müsse vorher mehr als das Waserbüchlein lesen gelernt haben. Als es mir je­doch geglückt war, ihm eine bessere Meinung von meiner Lesefertigkeit beizubringen, da wurde er merklich umgänglicher. Er er­zählte oder machte mir allerlei Mitteilungen, meist aus dem Ge­biete der Naturwissenschaften und Medizin, aber mit Vorliebe hielt er sich an Kuriosa von der Schattenseite der Naturerscheinungen. Was konnte auch geeigneter sein, meine jugendliche Neugierde zu fesseln und die ohnehin tätige Phantasie in die lebhafteste Aufregung zu versetzen.

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