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Stella war nicht mehr ganz jung. Groß und schlank gewachsen, mit ruhigen, weiten Bewegungen, war sie eine schöne Er­schei­nung. Auffallend an ihr war das übermäßig reiche, sehr schwarze Haar und die dunkeln Augen. Sie ging angezogen wie die andern Mädchen im Dorf, aber ihre Haltung hob sie aus allen hervor. Man hätte denken können, sie sei stolz. Das stimmte aber nicht. Eher war sie scheu. Sie mied Gesellschaft und liebte es, für sich zu sein. Nur ihre Tante Fiorina, die im oberen Dorf wohnte, besuchte sie öfters.

Sie war eine der wenigen Frauen im Tal, die weben konnte. Diese Kunst hatte sie bei ihrer Mutter gelernt, die Italienerin gewesen war, aus dem Süden, wo die Frauen das Weben noch verstehen. Ihr Webstuhl stand in einem hellen, niederen Raum mit Holzboden und großen Schränken an den Wänden, in denen sie die Wolle aufbewahrte, die sie für ihre Arbeit benötigte. Die Fenster waren verstellt mit über und über blühenden Geranien. Sie pflegte sie mit Freude und Stolz und behielt sie auch im Winter in der Stube. Jede freie Minute saß Stella an ihrem Webstuhl. Sie verstand es, Stoffe in verschiedenen Mustern zu weben, doch konnte sie auch Teppiche knüpfen, und das brachte ihr einen guten Verdienst ein. Sie webte auf Bestellung. Was sie verdiente, lieferte sie dem Vater aus. Er verlangte es so. Ja, sie bekam das Geld gar nicht in die Hand, er zog es ein. Kleidete und ernährte er sie nicht, hatte sie nicht alles, was sie brauchte? Das Geld legte er auf die Seite. Er führte darüber ein Buch. Mit schmaler, spitziger Schrift trug er Zahl für Zahl hinein. Dieses Geld, es war schon eine hübsche Summe, würde er am Tage der Hochzeit der Tochter aushändigen. Vorher nicht. Und bis dahin hatte es Zeit.

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