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Meine Eltern sagten immer, dass in ihrem Dorf die Wahrheit nur von einem Verrückten ausgesprochen werden könne. Ich glaubte ihnen nicht und lachte sie jeweils aus. Bei den Überresten des alten Dorfbrunnens erfuhr ich dann aber ausgerechnet vom gleichaltrigen Farda, der seit einiger Zeit im Dorf als geisteskrank galt, den wahren Grund für unsere Reise ins Dorf. Farda, so hatten meine Eltern mir immer wie­­­der erzählt, hatte Gott den Eltern endlich nach sechs Mädchen geschenkt. Dass er geisteskrank wurde, mach­­­te sie traurig. Verantwortlich dafür sei sein Vater, weil dieser an­­geblich für seine Kinder keine Arbeit gesucht und keine Zukunft geschaffen habe und Farda im Dorf in Armut leben müsse. Am Dorfbrunnen blieb Farda vorerst ruhig, während ich versuchte, die Fragen der Kollegen, die alle hofften, irgendwann und irgendwie in den Westen zu reisen, zu be­­antworten. Sie wollten wissen, wie die jungen Frauen dort waren, ob sie wirklich mit halb entblößten Brüsten herumliefen. Ich wollte weder ihre Vorstellungen bestätigen noch die Frauen als Sexobjekte darstellen noch sie selber brüskieren. Und dann mischte sich Farda ins Gespräch ein. Mit Sahar hätte ich natürlich den Kranich ins Auge getroffen, sagte er lachend, während er den Stummel einer Filterzigarette, die er von meinem Vater erhalten hatte, mit seiner großen Zehe – er trug keine Schuhe – zertrat. «Auch Sahar hat den Kranich ins Auge getroffen», meinte Mofid, ich sei so bescheiden und freundlich geblieben wie einer aus dem Dorf, und das würde Sahar sehr schätzen. Wenn andere Eu­­ro­­päer in ihr Dorf zurückkämen, würden sie sich im Ge­­gen­­­­­satz zu mir mit ihren modischen Kleidern und den schicken Haarschnitten wie jenen von Männern im Fernsehen so arro­­gant wie Böcke in einer Schafherde aufführen. Ich lä­chel­­­­te Mofid an und sagte, dass ich sie, die Kollegen aus dem Dorf, immer in Erinnerung behalten würde, zudem würden meine Eltern täglich mehrmals vom Dorf sprechen, so dass es unmöglich sei, das Dorf und seine Menschen zu vergessen. Ich war aber irritiert, ja schockiert über Fardas Worte, ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Mein Vater hätte jetzt wohl gesagt: «Mir friert die Spucke auf der Zunge.»

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