Читать книгу Reportagen 1+2 онлайн

201 страница из 255

Damit sind wir mittendrin im Foucaultschen Generalthema, in der «grossen Einschliessung», «le grand renfermement». Die Geburt des Gefängniswesens aus dem Geist der Industrie hatte Foucault schon in seiner «Geschichte des Wahnsinns» trefflich-unübertrefflich analysiert, und in «Surveiller et punir» bohrt er weiter im gleichen Loch. Gefängnisse und gefängnishafte Einrichtungen werden von ihm als Resultat und zugleich als Bedingung der Frühindustrialisierung beschrieben. Während im Mittelalter die Bettler, Kranken, Vagabunden und Wahnsinnigen frei in der Gesellschaft zirkulierten, werden diese nichtproduktiven Elemente Ende 16./Anfang 17. Jahrhundert, bei Beginn des «klassischen Zeitalters», alle zusammen rübis und stübis eingeschlossen in Häusern, welche man je nach der Gegend «hôpital général» (z.B. die «Salpêtrière» in Paris), «Zuchthaus» oder «working house» nannte.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstehen spezialisierte Einrichtungen; im Namen der angewandten Aufklärung trennt man jetzt die Wahnsinnigen, die Bettler, Kriminellen, Kranken voneinander und interniert sie gesondert in Absonderungshäusern: in Asylen, Armenhäusern, Gefängnissen, Spitälern. Nur noch verbrecherische Leute werden jetzt in eigentlichen Gefängnissen versorgt, aber zugleich beginnt sich nun der Organisationsmodus der Gefängnisse auf alle Institutionen zu erstrecken, «l'esprit carcéral», der Geist des Karzers, regiert und reguliert nebst den schon erwähnten Einrichtungen jetzt immer deutlicher auch die Fabriken, Schulen, Kasernen, Internate, Erziehungsheime. Die warenproduzierende Gesellschaft diszipliniert ihre Mitglieder, bringt ihnen genau abgezirkelte Handgriffe und Denkgriffe bei und macht den Menschen im Hinblick auf Funktionen rentabel, die er im undressierten Zustand nicht übernehmen würde. Die nicht arbeitenden Vagabunden kommen in Besserungsanstalten, die ungebärdigen Jünglinge in die Kaserne und anschliessend, flott abgerichtet, in die Fabriken usw. Den freiheitsdurstigen Kindern in der Schule, welche sich dort unschulisch-frech benehmen, kann man mit einer Verschärfung des Schulsystems drohen: «Du kommst in ein Erziehungsheim, wenn du nicht folgst», und im Erziehungsheim heisst es: «Du kommst ins Gefängnis, wenn du nicht parierst.» In der Schule kann es aber auch heissen: «Wenn du nicht genügend lernst, kannst du nicht promoviert werden, dann musst du in die Fabrik.»

Правообладателям