Читать книгу Ein Bruder lebenslänglich. Vom Leben mit einem behinderten Geschwister онлайн

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Im Stiegenhaus war eine Toilette für die Gäste. Wir mussten nach draussen gehen. Die Toilettenhäuschen neben dem Haus sahen aus wie kleine Kapellen. Die Kapelle auf der rechten Seite des Hauses war für die Männer bestimmt, die links für die Frauen. Im Männerklo befand sich eine WC-Schüssel aus weissem Porzellan, im Frauen­häuschen waren zwei hölzerne Plumpsklos nebeneinander aufgestellt. Sie waren wohl für Mutter und Kind gedacht, denn der eine hölzerne Thron war bedeutend niedriger als der andere. Ich wollte nie allein dorthin gehen, da ich fürchtete, ins dunkle Loch hinunterzufallen. Immer wieder erkundigten sich Kurgäste, ob sie die kleinen Kapellen besichtigen dürften. Heute zieren diese beiden Kapellen die Gartenanlage und sind denkmalgeschützt. Es weiss wohl niemand mehr, wozu sie früher dienten.

Wenn an den warmen Sommertagen die Fremden in schulterfreien Tops und sehr kurzen Shorts – oder auch sonst viel nackte Haut zur Schau stellend – an dem Hause vorbeiflanierten, fühlten sich beide Grosstanten in ihrer «Schneiderinnenehre» – aber mehr noch in ihren sittlichen Gefühlen – verletzt. «Man sollte sie mit Weiderüt­chen zwicken», ereiferte sich die Grosse Tante. Wenn es dann mehrere Tage hintereinander regnete, sahen die Grosstanten darin eine himmlische Bestrafung für die unzüchtige Kleidung der fremden Gäste. Sie überzeugten mich davon, dass schlechtes Wetter eine Strafaktion des lieben Gottes war. Ich versuchte, ihn zu besänftigen, indem ich etwas Weihwasser im Garten verspritzte.

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