Читать книгу Selbst- und Welterleben in der Schizophrenie. Die phänomenologischen Interviews EASE und EAWE онлайн
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Ein wesentliches Motiv für die Renaissance der Phänomenologie stellte nicht zuletzt eine zunehmende Desillusionierung hinsichtlich der manualisierten, operationalisierten Diagnosesysteme dar, die mit dem DSM III (1980) in die Psychiatrie Einzug hielten (Sass et al. 2001). Schlüsselfiguren der nordamerikanischen und europäischen Psychiatrie beklagten in der Folge einen fehlenden Fortschritt in der Erforschung und Behandlung der Schizophrenie (Andreasen 2007). Grund sei der Verlust von Validität infolge einer Überbewertung der Reliabilitätder Diagnostik, einhergehend mit dem Verlust der reichen psychopathologischen, häufig phänomenologischen Tradition der europäischen Psychiatrie (Andreasen 2007).
Eine gewisse Ernüchterung ist auch hinsichtlich neurozentrischer und reduktionistischer Ansätze in der Psychiatrie festzustellen. Trotz intensiver Forschung in den letzten zwei bis drei Jahrzehnten vermochten die Neurowissenschaften kaum diagnostisch oder therapeutisch relevante Ergebnisse für die Psychiatrie zu liefern (Fuchs 2017). Zur gleichen Zeit entwickelte sich mit den Konzepten der »Embodied« und »Enactive Cognitive Science« eine alternative Sicht auf Gehirn und Psyche, die die Verkörperung geistiger Funktionen und ihre Einbettung in die Umwelt als unabdingbar für ihr adäquates Verständnis betrachtet; damit gab sie auch der phänomenologischen Erforschung der subjektiven Erfahrung von Leiblichkeit und Intersubjektivität neuen Auftrieb (Varela et al. 1991; Gallagher 2005; Gallagher und Zahavi 2008; Thompson 2007; Fuchs 2008, 2018).