Читать книгу Drecksarbeit. Geschichten aus dem Maschinenraum unseres bequemen Lebens онлайн
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Wie alle indischen Metropolen hatte auch Kalkutta den Charme einer prächtigen Modelleisenbahnstadt, die man in einem Ameisenhaufen versenkt hatte. Verwitterte Kolonialgebäude, weitläufige Parks, eine Handvoll Wolkenkratzer – und ein nie enden wollender Strom von Menschen: Zu Fuß, auf Motorrädern, Fahrrädern, Tuk-Tuks und Rikschas, gesprenkelt von gelben Flecken, den alten britischen Taxis, die hier noch in Gebrauch waren. Mich faszinierte Indien seit meiner ersten Reise hierher. Es war gelebte postkoloniale Improvisationskunst.
Die fast fünfzehn Millionen Bewohner des Großraums Kalkutta schienen mir des Öfteren ein einziger intelligenter Organismus zu sein. Tat sich irgendwo ein Zwischenraum auf, egal ob bei parkenden Autos oder unter einem Brückenpfeiler, führte ihn der Organismus augenblicklich irgendeinem Zweck zu. Jeder Quadratmeter wird genutzt: zum Essen oder Schlafen, zum Handeln, Streiten oder Betteln. In Kalkutta sah ich Hochzeitspaare auf vergoldeten Pferdekutschen neben abgemagerten Kindern auf der Suche nach Essen, Privathelikopter, die auf Wohnhäusern landeten und Menschen, die sich zum Sterben an den Straßenrand gelegt hatten.