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«Dann haben Sie ja einen richtigen Oldtimer», meinte Caduff. «Hält er denn noch durch?»

Nun war es um Zangger geschehen. Das Reisefieber packte ihn, und obschon er eigentlich gar nicht hatte davon reden wollen, plauderte er weiter.

«Der hat es durch die Sahara geschafft, über sämtliche Alpenpässe und kreuz und quer durch Europa. Da wird er Schottland auch noch schaffen. Auch wenn er unendlich viele Kilometer auf dem Zähler hat. Wir fahren nach Calais und nehmen die Fähre nach Dover», fuhr er fort. Und bald hatte er seinem Patienten die Reiseroute skizziert, die er mit Tina zurückzulegen gedachte, mit allen Stationen zwischen Edinburgh und den Western Highlands.

«Sie würden aber lieber nach Afrika reisen, nicht wahr, Herr Zangger?», meinte Caduff. Er schaute ihm dabei direkt in die Augen. Zangger war sprachlos.

4.

Heute war ein Retrotag: einer der Tage, an denen Zangger von Kindheitserinnerungen eingeholt wurde, ohne dass er es wollte. Die Retrotage häuften sich in letzter Zeit. Er stand im Snow-n-Sand, um sich für Schottland einzukleiden. Kleiderkaufen war für ihn schon immer ein Greuel gewesen. Als Kind hatte es ihn nie gereizt, seiner Mutter beim Nähen und Schneidern zuzusehen – viel schöner fand er es, wenn sie einen Kuchen buk –, und wenn er sie zur Schneiderin oder in einen Hutladen begleiten musste, ödete es ihn an. Es roch in diesen Ateliers nach gar nichts, und die langweilige Stille, die darin herrschte, war irgendwie bedrückend. Nicht zu vergleichen mit einer Bäckerei oder einer Schreinerei. Selbst der Milch- und Käseladen dünkte ihn aufregenderes Territorium. Mutter setzte sich einen Hut auf und fragte Lukas, wie er ihm gefalle. Er gefiel ihm überhaupt nicht, denn er sah ganz anders aus als der, den sie zuhause hatte. Dann einen andern und wieder einen, bis er behauptete, der, den sie jetzt auf dem Kopf habe, gefalle ihm. Nur um der Warterei ein Ende zu machen. Den kaufte sie aber nicht, sondern entschied sich für den allerersten. Einmal zupfte er aus purer Langeweile und Zappeligkeit sämtliche Stecknadeln und Fäden aus einem Kostüm heraus, das, provisorisch zusammengesteckt, an einer Schneiderbüste hing. Das Kostüm landete, in seine Einzelteile zerlegt, auf dem Fussboden. Die Schneiderin tat ganz aufgeregt, und fortan war Lukas von solchen Begleitgängen dispensiert. Ging es um Kleider für ihn selber, so sagte ihm das keinen Deut mehr zu. Die Zanggers mussten zwar nicht jeden Rappen, aber sicherlich jeden Franken umdrehen. Mutter schneiderte die Kleider selber, aber manchmal ging man zur Knabenschneiderin: wenn es besonders gute Hosen sein mussten. Die waren aber nicht etwa aus feinem, sondern aus robustem Stoff, Manchester, gefertigt, und Hannes und Georg mussten sie austragen, wenn sie Lukas nicht mehr passten. Stundenlang, so kam es ihm vor, musste er sich gedulden, bis Mutter alle Stoffe gesehen und in die Finger genommen hatte. Wurde er gefragt, welcher ihm gefalle, und zeigte er auf den beigen, so beschieden ihm die Frauen, der sei zu heikel. Der braune gefalle ihm doch bestimmt auch. Er schüttelte den Kopf, aber die Hosen wurden aus dem braunen Stoff geschneidert. Das Resultat, die fertigen Hosen, interessierte ihn dann sowieso nicht besonders. Hosen waren für ihn Hosen, morgens zum An- und abends zum Ausziehen. Nur einmal hatte er sich brennend für Mode interessiert, mit fünfzehn. Da hatte er die fixe Idee, dass ein Bursche in einem Dufflecoat umwerfend aussehe. Er war überzeugt, dass dieser neumodische kamelbraune Mantel mit Knebeln anstelle von Knöpfen einen buchstäblich unwiderstehlich mache. Besonders, wenn man dazu ein Halstuch, nein, einen wollenen shawl trug. Mit Schottenmuster, rot mit grün-schwarzem Karo. Er hatte in der Illustrierten einen Jüngling mit dieser Ausstattung abgebildet gesehen. Lukas hatte sich auf Weihnachten einen solchen «Chlüpplisack» gewünscht. Seine Eltern hatten ihren Ohren nicht getraut, aber sie hatten ihm den Wunsch erfüllt. Bloss war dann die Wirkung bei weitem nicht so durchschlagend gewesen, wie er sich eingebildet hatte. Das heisst, eigentlich war sie vollständig ausgeblieben, und so war es mit Lukas Zanggers Interesse an der Herrenmode rasch wieder vorbei gewesen.

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