Читать книгу Handbuch der Poetik, Band 1. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Dichtkunst онлайн

45 страница из 101

Ein Gedicht wie dieses muss, wenn der rechte Künstler sich dazu findet, ganz gemalt werden können! Es ist die recht eigentliche Aufgabe der Landschaftsmalerei, wenn sie nicht lediglich die Formen der Natur kopiert, sondern ihre Wirkungen nachzuahmen trachtet, ein derartiges Ethos, wie es hier in den Schlussworten mit der Vorstellung des geschilderten Bildes verknüpft wird, nachahmend zu erwecken und diese Nachahmung zu ihrem eigentlichen Gegenstande und obersten Zwecke zu machen.

Freilich setzt das Lied den Ausdruck der Empfindung — "Warte nur u. s. w." — dem Naturbilde hinzu; aber doch nur, da in demselben der Anlass dazu gegeben ist. Verfährt nun der Maler nicht als Kopist, sondern als Künstler, so besteht seine Kunst eben darin, sein Bild so zu malen, dass es nicht bloße Vedute, sondern Mimesis eines Ethos sei, dass in ihm der Anlass zu jener Empfindungsweise mit eben der Kraft gegeben sei wie im Liede. Man muss es nicht betrachten können, ohne zu demselben Gefühl bewegt zu werden; es muss die Bereitschaft — δύναμις — zu demselben herzustellen, ganz ebenso alle Mittel in sich vereinigen wie das Lied. Freilich wendet sich dieses an mehrere Sinne zugleich, es nimmt auch den Gehörssinn in Anspruch — "die Vögelein schweigen im Walde" —, das kann die Malerei nicht; aber wie viel mehr vermag sie uns dafür zu zeigen und wie viel deutlicher! Mit tausend Stimmen reden Formen, Licht und Farben zu uns, alle übereinstimmend jenes eine Gefühl, zu einer Gesamtwirkung vereinigt, uns in die Seele zu gießen.

Правообладателям