Читать книгу Handbuch der Poetik, Band 1. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Dichtkunst онлайн
47 страница из 101
Füllest wieder Busch und Tal
Still mit Nebelglanz,
Lösest endlich auch einmal
Meine Seele ganz;
Breitest über mein Gefild
Lindernd deinen Blick,
Wie des Freundes Auge mild
Über mein Geschick.
Jeden Nachklang fühlt mein Herz
Froh- und trüber Zeit,
Wandle zwischen Freud' und Schmerz
In der Einsamkeit.
Fließe, fließe, lieber Fluss!
Nimmer werd' Ich froh!
So verrauschte Scherz und Kuss
Und die Treue so.
Ich besaß es doch einmal,
Was so köstlich ist!
Dass man doch zu seiner Qual
Nimmer es vergisst!
Rausche, Fluss, das Tal entlang,
Ohne Rast und Ruh,
Rausche, flüstre meinem Sang
Melodien zu,
Wenn du in der Winternacht
Wütend überschwillst,
Oder um die Frühlingspracht
Junger Knospen quillst.
Selig, wer sich vor der Welt
Ohne Hass verschließt,
Einen Freund am Busen hält
Und mit dem genießt,
Was von Menschen nicht gewusst,
Oder nicht bedacht,
Durch das Labyrinth der Brust
Wandelt in der Nacht.
Es ist der Zustand völliger, tiefster Stille der Seele, der aus diesen wundervollen Strophen sich uns mitteilt, aber einer Stille, die über die gedrängte Fülle stärkster Empfindungen und reichster Erinnerungen sich breitet; als ob die in rastlosem Wechsel zahllos tätigen, zu Genuss und Schmerzen immer erneut aufregenden Lebenskräfte nun dem rückwärtsgewandten Bewusstsein alle zugleich sich darbietend in ruhendem Gleichgewichte weithin sich ausbreiten, keine das Gemüt beherrschend, alle doch zugleich ihm gegenwärtig, ganz gelöst die Seele und doch zugleich schwellend von der unendlichen Fülle der regsten Energien! — Koexistenz in des Wortes striktester Bedeutung, in dem dargestellten Seelenzustande wie in dem Bilde des mondüberglänzten Thales mit seinen Gebüschen und mit seinem ruhig hingleitenden Fluss! Nur einen Augenblick wandelt die entrückte Phantasie sich das ruhende Bild zu einer Analogie künftiger Gesänge, um sogleich wieder dem Schweigen der Mondnacht hingegeben in sich selbst zu versinken. Allein auch dieses scheinbare "Nacheinander" ist doch im Grunde nur ein "Nebeneinander", und es ist lediglich das technische Moment der zeitlichen Wortfolge, welches zwingt, die zeitlich durchaus koexistenten Stimmungselemente in Sukzession vorzuführen. Will man das eine "Handlung" nennen, so ist in diesem Sinne ganz ebenso die "Folge von Gegenständen oder deren Teilen" in jeder Hallerschen, Brockesschen oder Hoffmannswaldauschen Beschreibung nachzuweisen.