Читать книгу Handbuch der Poetik, Band 1. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Dichtkunst онлайн

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Man sehe die ganze Reihe der Goetheschen Lieder an, z. B. "Meeresstille", "Herbstgefühl", "Frühzeitiger Frühling", Mignons "Kennst du das Land", oder welche man will, es ergibt sich immer dasselbe Verhältnis.

Zum Beweise diene ein Lied, welches auf den ersten Blick dem Lessingschen Begriff von Handlung auf das vollkommenste zu entsprechen scheint: "Auf dem See."


Und frische Nahrung, neues Blut

Saug' Ich aus freier Welt;

Wie ist Natur so hold und gut,

Die mich am Busen hält!

Die Welle wieget unsern Kahn

Im Rudertakt hinauf,

Und Berge, wolkig himmelan

Begegnen unserm Lauf.


Aug', mein Aug', was sinkst du nieder?

Gold'ne Träume, kommt ihr wieder?

Weg, du Traum, so gold du bist!

Hier auch Lieb' und Leben ist.


Auf der Welle blinken

Tausend schwebende Sterne;

Weiche Nebel trinken

Rings die türmende Ferne;

Morgenwind umflügelt

Die beschattete Bucht,

Und im See bespiegelt

Sich die reifende Frucht.


Hier ist erstlich die äußere Handlung der Fahrt auf dem See und neben ihr und mit ihr verschlungen die innere des Streites der Empfindungen und des Obsiegens des freudigen Naturgefühls; dazu ist in dem entzückenden Landschaftsbilde, das sich vor uns entrollt, in dieser Sukzession von Worten, deren jedes dem Bilde einen neuen Zug hinzufügt, jeder dieser einzelnen Züge auf das kunstreichste in einem kleinen Bewegungsvorgange für sich zur Anschauung gebracht, von der den Kahn im Rudertakt "dahinwiegenden" Welle bis zu dem die Bucht "umflügelnden" Morgenwinde und den Früchten, die im See sich "bespiegeln".

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