Читать книгу Handbuch der Poetik, Band 1. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Dichtkunst онлайн
54 страница из 101
Dämm'rung senkte sich von oben,
Schon ist alle Nähe fern,
Doch zuerst emporgehoben
Holden Lichts der Abendstern.
Alles schwankt ins Ungewisse,
Nebel schleichen in die Höh';
Schwarzvertiefte Finsternisse
Wiederspiegelnd, ruht der See.
Nun am östlichen Bereiche
Ahn' Ich Mondenglanz und -Glut,
Schlanker Weiden Haargezweige
Scherzen auf der nächsten Flut.
Durch bewegter Schatten Spiele
Zittert Luna's Zauberschein,
Und durchs Auge schleicht die Kühle
Sänftigend ins Herz hinein.
Man möchte das Lied für die genau sich anschließende Beschreibung eines Landschaftsgemäldes halten, wüssten wir nicht, dass die "ganze Szenerie der Örtlichkeit konkret entnommen ist," der Aussicht über Garten, Park und Wiesen, die sich dem Dichter von seinem Gartenhause aus darbot (vgl. die Anmerkung von Loeper, Hemp. Ausg. III, S. 156).
So bleibt nur die technische Forderung Lessings: das Ruhende, Gleichzeitige durch Verwandlung in ein Bewegtes, Fortschreitendes der lebhaften Anschauung fähig zu machen, die in der Dichtung — weil die Wahrnehmung die in der Wortfolge nacheinander namhaft gemachten Teile eines komplizierteren Ganzen erfahrungsmäßig nicht zu einer übersichtlichen Gesamtheit zu vereinigen vermöge — auf keine andere Weise erreicht werden könne.