Читать книгу Flügel auf! онлайн
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Eine arme Seele sitzt gefangen.
Draußen singt es vor den Kerkerwänden.
Nimmer wird ins Freie sie gelangen,
Bleigewichte trägt sie an den Händen.
Bleigewichte trägt sie an den Füßen.
Draußen liegt das Land, das sie verbannte,
Draußen lockt die Stimme, die bekannte,
Nur ihr Seufzer darf hinüber grüßen.
Ach, wer zählt die Tränen, hört die Klagen?
Kalte Mauern haben sie getrunken.
Nirgends bleibt, wenn sie ins Nichts versunken,
Eine Spur von ihren Lebenstagen.
Ohne Zukunft, ohne Hoffnungsschimmer
Sag ich Lebewohl in tiefem Leide.
Letzte Torheit, lebe wohl für immer,
Lebe wohl, du meine letzte Freude.
Das war sehr unerwartet. Der Student ließ das Blatt auf den Tisch fallen, schob es dann noch ein bisschen weiter fort. Echt? oder Koketterie? Besonders das Wort von der Torheit missfiel ihm. Er die Torheit eines Frauenzimmers? Es war diese Strophe, die ihm im Gedächtnis blieb und darin herum brummte wie eine gefangene Hummel in einem Glas. Abgedankt, ehe es noch recht angefangen hatte? Und doch war etwas in den klagenden Tönen, was sich an sein Mitleid wandte. „Entweder kommt’s jetzt erst recht, oder es ist aus,“ sagte er unsicher. Allmählich aber schien es wirklich aus zu sein. Er fühlte nämlich zum ersten Mal nicht die geringste Neigung zu antworten. Ihm kam auch kein Einfall. Es war ein feierlicher Ernst in ihren letzten Worten, ein Ernst, der ihm fremd war, der ihm unnatürlich, forciert vorkam. Er mochte auch nicht das Klavier machen für die ersten besten musikbedürftigen Hände und dann in den Winkel gestellt werden. Und wie gehorsam hatte er getönt, was sie anschlug. Aber nun war es zu Ende mit der Resonanz. „Zum Teufel auch, so hätte sie mich in Ruhe lassen sollen von Anfang an!“ Resignation – nein, die war entschieden unmodern, da konnte er nicht mehr mittun. Oder sollte die „letzte Freude“ etwa andeuten, dass er eine Reihe von Vorgängern gehabt hatte? Das wäre dann allerdings pikant, sogar stark für ein Weib, das so offen zu berufen, ehe es danach gefragt ward. Die Kerkerwände – nun, die mochten ihre Ehe bedeuten – das Land, das sie verbannte, war einfach die Freiheit über die eigene Person. Das kam von diesem ewigen Drauflosheiraten. Wenn er doch nur gewusst hätte, wie sie eigentlich aussah! Das war doch die Hauptsache. Man hätte dann wenigstens beurteilen können, ob es sich lohnte, Himmel und Erde in Bewegung zu setzen. Aber in solch einem Briefwechsel in Versen geht es doch nicht gut, sich die Photographie auszubitten. Da nimmt man unbesehen das Angenehmste an.