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Unter der großen Menge legendarischer Dichtungen jener Zeit kann man füglich, nach Inhalt und Zeitfolge, mehrere einzelne Gruppen unterscheiden, die sich aber freilich, da allen die unwandelbare Überzeugung von der bergeversetzenden Wunderkraft des rechten Glaubens zum Grunde liegt, nicht kompendienartig und haarscharf voneinander abgrenzen lassen. Den Anfang machen die apokryphischen Geschichten von der Jugend Christi und der heiligen Jungfrau. Dann, organisch aus diesen sich fortbildend, folgen die Gedichte von den einzelnen Heiligen und Märtyrern; und endlich, in immer weiteren Kreisen auslaufend, die das Kirchliche mit dem Weltlichen vermittelnden geistlichen Erzählungen. Es wird hier genügen, bei jeder Gruppe nur die bedeutendsten Werke zu nennen und wenigstens einige davon mit kurzen Worten näher zu bezeichnen, um Gedanken und Darstellungsweise anschaulicher zu machen.

Die apokryphischen Geschichten stehen dem eigentlichen Mittelpunkte aller dieser Gruppen, dem Evangelium, noch am nächsten. Sie bilden miniaturartig gleichsam die bunt ausgemalten Initialien zu den Evangelien und sind in ihrer innigen Beschränkung kirchliche Idyllen, die Evangelien, wo sie die frühesten Lebensjahre Christi und seiner heiligen Mutter kaum andeuten, mit frommer Erfindung oder nach uralten christlichen Sagen liebevoll ergänzend. Solche lieblich-umhegte, einfach-herzliche Idyllen, in denen Frühlingsgrün und Himmelsbläue ineinander spielen, sind: »Die heilige Familie« von dem Kartäusermönch Bruder Philipp, und insbesondere »Die Kindheit unseres Herrn« von Konrad von Fußesbrunnen, beide aus dem 13. Jahrhundert. – Noch älter ist die von dem Tegernseer Mönch, dem Pfaffen Wernher, im Jahre 1173 gedichtete Legende von dem ersten Jugendleben der heiligen Jungfrau, mit deren Geburt »wird erlöschet der Zorn über die Unwürdigkeit zu Gott zu gelangen, und die fleischliche Gier, da wird auch der Mensch geladen zu Gottes Tische, zu dem lebendigen Brot, das die Seele nimmt aus der Not; der Mensch ward Engels Genoß; Gott die Welt da segnete und Heil vom Himmel regnete, da Gott leuchtete überall usw.« – Hierher gehört endlich auch »die goldene Schmiede« Konrads von Würzburg, und es ist ein wahrer Jubel, mit anzusehen, wie da der wackere Meister in seiner einsamen Werkstatt unermüdlich schmelzt und fügt und schmiedet und hämmert, daß wunderbare Funken überall umhersprühen, um mit Gold, Smaragden, Karfunkel und allem köstlichsten Edelgestein, das die Erde birgt, seine hohe »Himmelskaiserin« Maria würdig auszuschmücken; denn »wenn auch seine Rede auf zu Berge flöge wie ein edler Adler, über ihr Lob hinaus vermöchten die Schwingen seiner Worte ihn nicht zu tragen, und wenn man ausrechnet das Gestirn, und der Sonnen Staub und allen Sand und alles Laub vollkömmlich hat gezählet, dann erst wird ihr Preis recht gesungen!«

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