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«Er hat Fieber», flüsterte Christian seinem belustigten Vetter zu. «Wenn ihm dieser letzte Schuß noch gelingt, dann hat er ein Bombenresultat, er könnte in den ersten Rang kommen. Das weiß er, und darum tanzt ihm jetzt schon alles vor den Augen. Es gelingt ihm nicht, du wirst sehen! Das kommt sehr oft vor.»
Inzwischen sammelten sich hinter dem Schützen immer mehr Neugierige an, jeder Hinzutretende suchte zu ergründen, was hier vorging, und blieb, wenn er es erfahren hatte, gespannt in der Nähe stehen. Fred, der seinen Platz am Gewehrrechen mit einiger Mühe behauptete, blickte bald auf den nach Selbstbeherrschung ringenden Schützen, bald auf dessen Nachbarn zur Rechten, den er für einen Regierungsrat oder sonst einen hohen Beamten hielt. Dieser ergraute, eindrucksvolle Mann schoß mit seinem Privatgewehr, einem Stutzer, in sehr gerader Haltung erhobenen Hauptes kniend den «Nachdoppel», er löste einen Schuß nach dem andern, blies nach jedem mit gespitzten Lippen sorgfältig den Rauch aus dem Lauf und schielte dabei durch seinen schiefen Klemmer nach der Scheibe, wo die Kelle einen mittelmäßigen Treffer zeigte, dann schob er eine neue Patrone ins Lager, schlug den Stutzer feierlich an, zielte wieder und schoß, alles mit einer unvergleichlich würdigen Ruhe, die zum Fieber seines ringenden Nachbarn im stärksten Gegensatze stand. Noch weiter rechts bemerkte Fred einen liegenden jüngern Mann, der heftig den Gewehrverschluß zurückriß, mit einem grimmigen Ausdruck seines scharfgeschnittenen Gesichtes nach der Scheibe starrte und plötzlich, den Verschluß mit Wucht zustoßend, ehrlich erzürnt ausrief: «Lueg, jetzt isch der Stärnechaib wieder z’höch!» Im selben Augenblick krachte vor Fred endlich der fünfte Schuß des Fiebermannes, eine kurze Bewegung ging durch die Schar der Zuschauer, dann blickten alle gespannt und still auf die Scheibe. Die Zeigerkelle erschien eine Hand breit neben dem Schwarzen, der Schuß zählte 61 Punkte und war nicht geradezu schlecht, drückte aber doch das gesamte Ergebnis auf eine kaum mehr auffällige Punktzahl herab. «Schade!» sagte der Kamerad bedauernd. Die Zuschauer entfernten sich schweigend. Der Schütze, noch immer rot im Gesicht, unterzeichnete das Resultat, dann winkte er, alle Schuld sich selber zuschiebend, mit der Rechten verächtlich ab und trat zurück. Er hatte das bescheidene Glück, das da endlich auf ihn zugekommen war, aus mangelnder Beherrschung mit dem letzten schwächlichen Zugriff verscherzt und tauchte in der Masse der unbekannten Schützen namenlos wieder unter.