Читать книгу Ländlicher Schmerz. Erzählungen онлайн
34 страница из 50
Der Kleine wurde nicht müde, alles zu bestaunen. Für ihn gab es keine Glaswand mehr. Er, der arme Bauernbub, stand neben den Königen, er streichelte versunken das Jesuskind! Er war nicht mehr verschupft, er lebte einbezogen in den Kreis der heiligen Personen.
Der Priester beobachtete ihn immer noch. Und wieder stieg der Zorn in ihm auf. «Weiss er überhaupt, was das bedeutet? Was ihn anzieht, sind die Glanzpapiere, die prächtigen Stoffe. Sie sehen alle nur diesen Flitter, sie lieben Götzenbilder wie die Heiden!» Ah, wenn man ihn hätte gewähren lassen! Er hätte alles verbrannt: die Statuen, die Bilder … Vor allem diese Barockfiguren mit ihren verrenkten Körpern, ihrem rosigen Fleisch, ihren um und um vergoldeten Kleidern, von denen die Kapellen strotzten. Dort drüben, hinter dem geschlossenen Gitter des Chors sah er sie schimmern in verwirrendem Glanz zwischen den gewundenen Säulen ihrer Altäre. «In denen ist Gott nicht zu finden», empörte er sich.
Aber er war allein auf verlorenem Posten. Im Seminar hatte ihm seine Bilderstürmerwut den Übernamen Savonarola eingetragen. Und man lachte über seine Qualen. Auch die verabscheuten Gegenstände lachten ihn aus. Eines Abends hatte er im Hof hinter dem Pfarrhaus einen Scheiterhaufen errichtet und darauf in wildem Durcheinander Heilige, Engel, Kerzenleuchter, Altarflügel aufgeschichtet, die er in der Sakristei und im Glockenturm vorgefunden hatte. Aus Angst, dass man diese himmlischen Karikaturen, wie er sie nannte, wieder ans Licht ziehen könnte, hatte er beschlossen, sie verschwinden zu lassen. Und als die Flammen an den Statuen emporleckten und die nackten Cherubim mit ihren mörderischen Zungen herunterholten, hatte Pfarrer Rinati eine wilde Freude empfunden: die Freude des Inquisitors, wenn er Ketzer verbrennt. Aber er bemerkte einen grossen Erzengelkopf, der aus den Gluten herausragte und ihn mit weit geöffneten schwarzen Augen anstarrte … Da hatte er einen Stock ergriffen und mit dem Ruf: «Luzifer, sei verflucht!» auf ihn eingeschlagen, bis der böse Engel zusammenfiel.