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Ich versuche es zunächst mit der Gegenwart, das heisst mit der Gegenwart von einst, obwohl diese Gegenwart natürlich für immer vorbei ist. Es ist überhaupt etwas Merkwürdiges mit der Zeit, die uns dauernd zu schaffen macht: bald sind wir froh, dass sie vorbei ist, dann wieder möchten wir, dass sie zurückkäme.

Mein Vater, Hans Rudolf Monstein, Inhaber eines Möbel- und Teppichladens, ist ein noch stattlicher Herr mit dem Gesicht einer Respektsperson, obwohl er genau ge­nom­men zu jenen gehört, die äusserlich mehr vorstellen, als was sie in Wirklichkeit sind. Sonst ein ehrlicher Mann, zu Hause gelegentlich ein Polterer mit altersbedingten Zornstimmungen. Als ich zwölfjährig war, starb meine liebe Mutter, worauf er eine um zehn Jahre jüngere Witwe heiratete, Lilian Blum, geborene Brändli. Meine Stiefmutter (wir nennen sie Lille), ist an sich eine herzens­gute Person, freigebig und hilfsbereit, hat öfters armen Familien mit Geld oder Lebensmitteln geholfen. Von Natur eher extravertiert, erzählt gern von Partys und Small Talks, umschwärmt Künstler, Erfolgsautoren, Schauspieler – ein Fimmel, den sie übrigens mit Vater teilt. Ich erinnere mich an die Geschichte mit Daniel Barenboim. Wir machten Ferien in Pontresina, Barenboim gastierte als Pianist und Dirigent bei den Engadiner Konzertwochen. Vater hätte den berühmten Mann gern getroffen, doch wurde ihm mitgeteilt, Herr Barenboim könne niemanden empfangen. Lille hingegen, ohne uns ein Wort zu sagen, fuhr nach St. Moritz hinüber, suchte ihn zuerst im Hotel Kulm, dann in Badrutts’s Palace, fand ihn schliesslich im grossen Saal der Laudinella, wo er, von der Aussenwelt abgeschirmt, am Klavier übte. Sie fand eine Putzfrau, die sich von ihr bestechen liess und ihr eine Hintertür öffnete. Ich stelle mir vor, wie Barenboim erstaunt innehält, während sich die Dame aus dem Hintergrund nähert, ihn um Entschuldigung bittet und gleich zu reden beginnt, während er, am Flügel sitzend, mit der linken Hand leicht über die Tasten klimpert. Übrigens hat sie mein Noten­album (‹Daheim am Klavier›) mitgenommen, bittet um ein Autogramm für ihren hochbegabten Stiefsohn, ein Wunsch, den ihr der Pianist rasch und wortlos erfüllt, sich dann wieder dem Instrument zuwendet und weiterübt, während sie noch eine Weile auf Distanz zuhört und dann leise verschwindet. Abends erzählt sie uns in einer Wolke von Enthusiasmus, wem sie begegnet ist. «Ein herr­licher Mensch!», sagte sie. «Er hat sanfte Augen wie viele Juden, auf dem Schädel noch einen leichten Flaum, wie Wollgras. Ich fand ihn reizend – weltberühmt und so menschlich.»

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