Читать книгу Hannes. Roman онлайн

40 страница из 75

Die Sünde hat ein gutes Gedächtnis; an nichts erin­nere ich mich so gut wie an meine Vergehen. Abgesehen davon bin ich froh um diese Schwester. Wir sind uns in vielem ähnlich, beide wechselhaften Gemüts, wankend zwischen Aufschwüngen und stillen Verzweiflungen. Sie ist musikbegabt, spielt ordentlich Violine, nur übt sie leider zu wenig, Geduld ist nicht ihre Stärke. Hie und da musizieren wir miteinander … Eigentlich müsste ich sagen: Wir musizierten. Das wird nun vorbei sein.

Mein Stiefbruder Paolo ist etwa gleich gross wie ich, vielleicht etwas kräftiger, nicht zu schlank und nicht zu dick, ein gut aussehender Mann mit lebhaften Augen und selbstbewusster Miene, einer, der überall rasch auffällt, auch bei den Frauen.

Ich selber habe weder seine Lebhaftigkeit noch seine Erscheinung. Bei der eigenen Geburt (oder beim fatalen Moment unserer Entstehung) hat man Glück oder Pech, und der Herrgott schert sich einen Teufel um unser Aussehen. Man sagt mir, dass ich ein interessantes Gesicht habe und dass ich dem jüngeren Jean Gabin gleiche. Ich beklage mich nicht über mein Äusseres, leide höchstens an einer leichten Asymmetrie: meine linke Schulter ist ein kleines bisschen höher als die rechte, das eine Bein ­zudem eine Idee kürzer als das andere, daher mein unmerkliches Hinken, ein leicht federnder Gang, was Paolo gelegentlich zu lustigen Bemerkungen veranlasst: «Unser tänzelnder Gaspard de la nuit.» In Kleiderläden gehe ich denkbar ungern, weil es für mich keine Konfektion gibt. Leide ich an einem Komplex? In meinen Knabenjahren war alles noch kein Problem, zumal ich an Kraft und Wen­digkeit niemandem nachstand. Ich konnte Ski fahren, spielte gern Fussball, ich fürchtete keine Rauferei. Selbstskepsis, das begann erst in den Jünglingsjahren, im Alter der Selbstbetrachtung. Holde Jugendzeit, mit deinen verräterischen Spiegeln!

Правообладателям