Читать книгу Zorn und Freundschaft. Max Frisch 1911-1991 онлайн

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Es wäre allerdings falsch, Annäherung und Rechtsintegration als eine schleichende Angliederung der Schweiz ans Deutsche Reich zu interpretieren. Im Gegenteil: Die Anpassung sollte ihre Unabhängigkeit erhalten und die Isolierung und Einverleibung verhindern. Eine geradezu mystisch verstandene Unabhängigkeitsmaxime leitete diese Politik. Dabei entstand ein klassisches Paradox: Um die freiheitliche Demokratie vor dem faschistischen Totalitarismus zu schützen, deformierte sich die Schweiz zunehmend selbst zu einem Regime mit totalitären Zügen. Um fremde faschistische Strukturen abzuwehren, schuf sie eigene autoritäre Formen.

»Geistige Landesverteidigung«

Dieses Paradox prägte auch das Kulturkonzept, welches unter dem Titel »Geistige Landesverteidigung« in die Geschichte eingegangen ist. Die Wurzeln dieser Ideologie reichen bis in die Kulturkrise nach dem Ersten Weltkrieg zurück. Die Gesellschaft, so vernahm man damals allenthalben, sei von »entwurzelten Großstadtmenschen« und »materialistischem Denken« »durchseucht«. Ein »heimatloses Literatengeschlecht« treibe sein Unwesen, »unter denen es dem ewigen Literaturjuden besonders wohl ist«, wetterte der konservative Volkskulturpapst Otto von Greyerz132 . Die Angst vor dem Neuen war panisch. Weder in der Architektur, noch in der bildenden Kunst, der Literatur oder der Musik hatte die kulturelle Avantgarde in der Schweiz ein Zuhause. Es herrschte der Geist eines »verkrampft politischen Kleinbürgertums«, das in seiner »Ungleichzeitigkeit« mit der technischen und ökonomischen Entwicklung für den Faschismus und Nationalsozialismus besonders anfällig war133 . Führende Intellektuelle der Zeit wie Schaffner, Oltramare, de Reynold sympathisierten offen mit diesen Ideologien.

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