Читать книгу Zorn und Freundschaft. Max Frisch 1911-1991 онлайн

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»Sehr geehrter Herr Rabinowitch!

Seit Jahren genieße ich den Nebelspalter, weil er mir, alles in allem genommen, in bestem Sinne schweizerisch erscheint, und kenne infolgedessen auch Ihre zeichnerische Mitarbeit135 , die in der Satire gewiß zum Schärfsten gehört, wobei ich nur immer wieder bedaure, daß ihr doch ganz wesentlich der Humor fehlt, jenes innerliche und freie Darüberstehen, das dem Künstler, ob er mit dem Stift oder mit der Feder arbeitet, doch allein das Recht gibt, über die Schwächen der andern zu lächeln.136 Glauben Sie nicht auch, daß Sie sich mit gewissen Zeichnungen, denen man eben nicht jenen Humor, sondern die Rache anspürt, nur ins eigene Fleisch schneiden und zwar mit der ganzen Schärfe, die Ihnen eignet? Ich verstehe nun dieses Ressentiment, das mir die Quelle fast all Ihrer satirischen Einfälle scheint, menschlich sehr gut, vielleicht sogar besser als Sie es mir nach diesem Brief zutrauen werden, der Sie beim ersten Lesen sicherlich verstimmen mag, aber es tat mir schon seit Jahren immer wieder leid, wenn ich sehe, wie manche Zeichnungen, wo sich das ganze Talent nur noch vom Hasse führen läßt, durchaus nicht jene treffen, die wahrlich auch nicht unsere Lieblinge sind, sondern vor allem den Mann, der jenen andern im Hasse nichts nachsteht und sich dennoch, ohne in seinem Zeichnen eine höhere Gesinnung zu verraten, zum Richter aufschwingt. Man hat dann stets das peinliche Gefühl, der Verspottete und der Spötter seien sich gleichwertig, und beide Teile sind nicht das, was unser schweizerisches Wollen ist.

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