Читать книгу "Man treibt sie in die Wüste". Clara und Fritz Sigrist-Hilty als Augenzeugen des Völkermordes an den Armeniern 1915-1918 онлайн

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Clara weiß vom begrenzten Raum ihres Tagebuchs sehr gut Gebrauch zu machen. Sie bedient sich einer ganzen Reihe von Abkürzungen. Die Konjunktion ‹und› ist fast durchwegs durch das &-Zeichen ersetzt. Oft steht ein ‹f.› für ‹für›, ein ‹v.› für ‹vor› sowie ‹v.› oder ‹z.› für die jeweiligen Kasusverbindungen der Präpositionen ‹von› und ‹zu› und ähnliches mehr. Gelegentlich werden auch längere, aber bekannte Wörter gekürzt, kl. für klein, Schw. für Schwester und vieles mehr. Mit der Zeit eignet sie sich einen sparsamen, sachlich-deskriptiven Stil an, der ausdrucksvoll ist. Präzise Kurzsätze jeglicher Art – bald einzelne Nomen oder Infinitive, bald längere, doch meist elliptische Sätze – verschaffen dem Leser Zugang zu Claras Gedanken und Gemütsbewegungen.

Teils wegen des mangelnden Platzes, teils wegen Claras zurück­haltender Natur wird im Tagebuch – ausgenommen die Seiten, wo es um ihren Erstling Karlfrideli geht – nicht viel Persönliches und Intimes festgehalten. Auch sind Werturteile selten. Nur an zwei Stellen ihrer ganzen Tagebuchführung kann sie nicht umhin, die Grenzen des ihr zugeteilten engen Raums zu sprengen, um ihrem Herzen Luft zu machen. Sie ist dann auf den Anhang des Tagebuchs angewiesen, wo ihr einige leere Seiten unter der Überschrift «Memorandum» zur Verfügung stehen. Dort nimmt sie sich die Freiheit und hat auch genug Platz, Dinge offen und eingehend anzusprechen. Sie greift auf ihre Einträge vom 21. Januar 1916 und vom 17. Juni 1916 zurück, erweitert den einen und schreibt den anderen Eintrag neu. Hier lässt sie als Augenzeugin ihrer Feder freien Lauf und prangert den moralischen Verfall türkischer Machthaber an. Dabei handelt es sich um Gewalttaten nicht nur gegen Armenier. In der ersten Episode beschreibt Clara als Augenzeugin eine «Bastonnade», eine mittelalterliche Strafe des Orients, die unter ihrem Fenster von einem türkischen Offizier seiner eigenen Mannschaft gegenüber angewandt wird. Die Soldaten, die dieser körper­lichen Züchtigung unterzogen wurden, hatten es gewagt, Krankheitsurlaub zu beantragen.

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