Читать книгу Meine weisse Stadt und ich. Das Bernbuch онлайн

36 страница из 119

«Hättest du dich in New York oder London nicht genauso einsam gefühlt?», fragte ein junger Mann, der bislang geschwiegen hatte.

«Ja, ganz bestimmt!», sagte ich. «Ich weiß es, denn ich habe diese Städte mehrmals besucht. Mir ist auch bewusst, dass Verallgemeinerungen gefährlich sind. Niemand reagiert auf diese Gefahr empfindlicher als ich. Es ist das Klischee unserer Zeit, dass wir in einem ‹verallgemeinernden Zeitalter› leben und vor der ‹gewaltigen Aufgabe› stehen, ‹überwältigende Mengen› von Informationen aus vielen verschiedenen ‹Bereichen› menschlicher Erfahrung auszuwerten: Aber es ist trotzdem wahr, insbesondere in meinem eigenen Land», räumte ich ein. «Ein Land, das fast ausschließlich aus dünnhäutigen Minderheiten besteht, die stereotypen Meinungen so ablehnend gegenüberstehen, dass die harmloseste Verallgemeinerung qualifiziert werden muss, wenn man sie nicht kränken will.

Wenn wir über Ideen diskutieren, ist eine der häufigsten Qualifizierungen, die Studenten dazu vorbringen – die ernsthaften ebenso wie die Stümper –, dass diese oder jene ‹Fakten› sich relativ zu diesen oder jenen Zusammenhängen verhalten. Dabei vergessen oder übersehen sie oft das eigentliche Problem, das einem eine solche Qualifizierung aufzwingt: Selbst wenn diese ‹Fakten› einen bestimmten Zusammenhang tatsächlich ‹relativieren› können – und es mit Sicherheit auch tun –, wird damit eine Referenz impliziert, zu der sich nichts ‹relativ› verhält. Hier liegt das eigentliche Problem. Wir vergessen, dass die Spezifizierung der Erfahrung lediglich ein bequemer Kunstgriff ist, der uns vom Intellekt auferlegt wird. Er hat nämlich seine potenzielle Entfaltung noch lange nicht erreicht, und wenn es ‹relative› Teile gibt, muss es mit Sicherheit auch ein ‹Ganzes› geben, selbst wenn wir es empirisch nicht beweisen können. Du hast völlig recht, wenn du mich darauf hinweist. Aber ich kann mich rechtfertigen, indem ich euch ein wirklich schönes, aber auch trau­riges Erlebnis erzähle, das ich eines Abends mit einem jungen Pariser Soldaten in einem Bistro in der rue Monsieur le Prince hatte.

Правообладателям