Читать книгу Meine weisse Stadt und ich. Das Bernbuch онлайн

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Als sich das erste rosige Licht durchs Fenster stahl, zog ich mich hastig an und verließ auf Zehenspitzen die Wohnung. Ich wanderte an den Grachten entlang, bis ich nicht mehr konnte. Dann setzte ich mich auf die Stufen einer Metzgerei und sah erschöpft und neidisch zu, wie die Stadt langsam aus dem Schlaf erwachte. Als ich wieder in die Wohnung zurückkam, war Tania zur Arbeit gegangen, und der Maler schlief noch. Ohne mich auszuziehen, fiel ich voll bekleidet auf die Couch und schlief tief bis in den späten Nachmittag.

Die nächsten Wochen verbrachte ich damit, tagsüber in der Wohnung zu schlafen und nachts durch die Straßen zu ir­­ren. Es erübrigt sich zu sagen, dass ich mir alle Mühe gab, ein Zimmer zu finden. Meine Suche führte mich auch zu anderen Mitgliedern der kleinen Künstlergruppe, für die mein Bekannter in Paris mir das Empfehlungsschreiben mitgegeben hatte.

Eines Tages landete ich bei einer schönen jungen Frau, deren Mann nicht da war. Sie war Dichterin, und er – wie alle behaupteten – ein großartiger Schriftsteller. Er war nach England gegangen, um Englisch zu lernen, damit er auf Englisch schreiben, ein größeres Publikum erreichen und so der Zensur der Kirche entgehen konnte, die seiner Ansicht nach die künstlerische Kreativität in Holland behinderte. Seine Frau war erst drei- oder vierundzwanzig, wirkte aber vollkommen erwachsen, selbstsicher und kontrolliert. Sie war sehr feminin, klein, mit einer Fülle von weichem braunem Haar. Ihre Augen waren groß, ruhig und blau. Sie zu betrachten war wie vom Gipfel eines Hügels zu einem klaren Himmel emporzuschauen oder Musik zu hören. Nachdem ich ihr meine Geschichte erzählt und mein Empfehlungsschreiben gezeigt hatte, sagte sie, es tue ihr leid, dass sie kein Zimmer für mich hätte, aber sie wolle mir bei der Suche helfen. Kurz darauf klingelte es unten an der Tür, und ich hatte einen Augenblick Zeit, mich umzusehen.

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