Читать книгу Meine weisse Stadt und ich. Das Bernbuch онлайн

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‹Wer?›

Alle sahen mich mindestens eine volle Minute ungläubig an. Ich hatte dieses Staunen, das sie nun zweifellos empfanden, selbst erlebt, wenn mich in einer Unterhaltung jemand fragte, wer Hamlet geschrieben hatte.

‹Die Deutschen.› Sie sagte es ganz ruhig, als hätte sie die Kartoffeln gesagt.

Da erst ging mir auf, dass sie Juden waren. Die Erkenntnis zeigte sich an meinem Gesichtsausdruck. Tödliche Stille senkte sich über den Raum. In diesem Moment machte ich eine Bestandsaufnahme des Universums und versuchte zu begreifen, wer ich war. Ich erinnerte mich, dass ich das Lächeln, das nun über den Rand der Gesichter in diesem Zimmer huschte, auch auf den Gesichtern von Schwarzen gesehen hatte, wenn sie von den Vorfällen während der Rassenunruhen in Chicago und Detroit, von den Lynchmorden im Süden oder der Polizeigewalt im Norden sprachen.

Kurz darauf beendete ich meinen Besuch. Mit gemischten Gefühlen verließ ich die kleine Gruppe. Der Klang der Worte der jungen Frau: ‹Aus meinen Eltern haben sie Seife gemacht› verdüsterte den klaren blauen Himmel. Die sanfte, unschuldi­ge Brise, die durch den kleinen Park unweit des Hauses wehte, das ich gerade besucht hatte, verwandelte sich in einen bedrohlichen Agenten des Bösen. Das bezaubernde Gesicht meiner Gastgeberin schwebte vor meinen Augen wie das Bild einer mythologischen Gestalt oder das Negativ einer schönen Frau, die tot war. Ich identifizierte mich dermaßen mit ihrem Schmerz, dass ich mich selbst wie ein Jude fühlte. Das schreckliche Ungeheuer, SIE, die anderen, lauerte in den dunklen Ecken meines Bewusstseins, und so bildete ich mir eine perverse und böswillige Feindseligkeit in allen Gesichtern ein, die mir begegneten. Die geringste Aufmerksamkeit von Leuten auf der Straße oder öffentlichen Plätzen verstörte mich!»

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