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War ich ein leidenschaftlicher Bücherleser, so war ich auch selbst­verständlich der mündlichen Erzählung bestens gewogen. Wir hatten einen langjährigen Hausfreund, Peters Jakob genannt, der als Knabe in der Stadt gedient, als Mann sich dem Botenberuf gewidmet hatte und deshalb allwöchentlich weit ins Land zog. Dieser Peters Jakob hatte ein außerordentlich treues Gedächtnis und so pflegte er jedesmal alle seine kleinen Erlebnisse tagebuchartig zu erzählen, was manchmal vom frühen Abend bis nach Mitternacht währte. Er hatte die Schlacht bei Zürich gesehen und war bei mancher Hinrichtung zugegen gewesen, er hatte geliebt und gelitten, war alt geworden und hatte unterdessen eine Menge Familienkreise entstehen und vergehen gesehen. Und über alles wußte er so anziehend zu berichten, daß er mir nächst den Eltern der liebste Mensch auf Erden war. Eine Episode aus dessen Erzählungen ist mir noch heute gegenwärtig, die wohl verdient, aufgezeichnet zu werden.

Er übernachtete einst auf einem seiner Botengänge in der Landschaft Toggenburg in einem Bauernhause. Die Herbergsleute bestanden aus einem Ehepaar mittlern Alters, vier Kindern und einem verschrumpften Großmütterchen, Gertrud. Der Gewährsmann wurde auf einer mit Kissen belegten Bank in der Stube gebettet. Um Mitternacht erwachte er aus tiefem Schlafe bei dem Rufe: «Gertrud! Gertrud! stehʼ auf! Bitte, stehʼ ein wenig auf!» Er richtete sich auf und guckte durchs Fenster; da stand im letzten Viertelschein des Mondes ein alter Mann vor dem Hause, der nach dem Gadenfenster sah und dorthin sein Rufen richtete. Endlich ging das Gadenfenster auf und Gertrud antwortete mit zitternder Stimme: «Wer ruft mir?» – «Ich, wirst mich wohl kennen», antwortete der Alte, «laß mich doch ein wenig hinein.» – «Jesus Maria!» erwiderte Gertrud und fiel schier in Ohnmacht, «bist Du es, Sep-Anton? Was fällt Dir jetzt noch ein? Denkʼ, wie alt wir sind. Die Zeit ist wäger vorbei, Sep-Anton!» – «Alt – vorbei –», wiederholte der Alte für sich, er konnte es nicht verstehen. «Gertrud», sagte er, «was ist denn das? Ich bin achtundzwanzig, Du fünfundzwanzig Jahre alt – was ist denn das?» – «O, lieber Sep-Anton, Du weißt also nicht, daß Du fast fünfzig Jahre lang verwirrt gewesen bist? Siehʼ, nächste Mariä Verkündung sind es gerade fünfzig Jahre, seit Du mit dem Franz-Xaver meinetwegen Händel gekriegt hast und er Dir einen Streich auf den Kopf gegeben hat, wovon Dir die Sinnen verwirrt worden sind. Ich bin Dir noch Jahre lang treu geblieben, aber weil es mit Dir nicht bessern wollte, so heiratete ich den Meinrad, der nun auch schon lange tot ist. Ach Sep-Anton, was habʼ ich um Dich gebriegget, aber jetzt istʼs zu spät und ich folge meinem Meinrad, willʼs Gott, bald nach. Mich friert, ich muß ins Bett. Gut Nacht, Sep-Anton.» – Und der Sep-Anton schluchzte leise: «Gutʼ Nacht, Gertrud, ich komme nicht mehr.» – Am Morgen erzählte Gertrud das seltsame Begebnis unter Vergießung vieler Tränen, und als sie noch im Er­zählen begriffen war, kam die Nachricht, der verwirrte Sep-Anton im Steinhaus sei heute grad vor Tagesanbruch gestorben.

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