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An einem regnerischen Spätsommertag sah die Sciora von ihrem Balkon aus ein Auto auf der Piazza ankommen und dort halten. Sie kannte es nicht. Ihm entstiegen Herren, darunter der Richter aus dem nahen Städtchen, ihr Sommernachbar. Die Herren begaben sich in das Gemeindehaus, ohne sich umzuschauen. Etwas später, es regnete nun stark, sah sie einen langen Zug dunkler Männer unter Regenschirmen gebückt die Straße heraufkommen und auch im Gemeindehaus verschwinden. Bald kamen von der anderen Seite schwarz gekleidete Frauen rasch und scheu über den Platz und huschten die Kirchentreppe herunter in die Kirche.
Das alles kam der Sciora ungewöhnlich vor. Sie rief nach der Marta, ob sie wisse, was das zu bedeuten habe.
Nun eben, es sei heute der Tag wegen der Berta. «Immer noch diese Berta, das Kind kann doch schon bald sprechen und selbst den Namen …» «Oh, Sciora», ruft die Marta dazwischen, «es ist nicht zum Scherzen.» Und mit tiefbekümmertem Gesicht: «Heute sind alle die Zeugen geladen, die sagen, sie hätten es auch mit der Berta gehalten. Es sind vierzehn Männer … einer ist sogar aus dem Nebental, drei Stunden weit zu Fuß, mit der Post drei Franken fünfzig … Sie können sich denken, welche Schande das ist für alle diese Ehefrauen! Sie weinen zu Hause oder sind zur Kirche gegangen, um sich im Gebet zu stärken. Das ist kein Spaß! Die Filomena sagt, sie wolle nicht mehr leben, nachdem sie dieses habe durchmachen müssen.» … Nachdenklicher fügte die Marta bei: «Wer hätte gedacht, dass diese Berta ein solches Luder ist? Und wann, Sciora, aber wann denn auch sind alle die Männer zu ihr gegangen? Man sieht doch jeden Menschen, der droben ein und aus geht. Halt wohl in der Nacht. Oh, diese Schlechtigkeit. Und so sind eben die Männer, wie die Hunde. Meilenweit kommen sie gelaufen, wenn sie von einem Mädchen wissen, es sage nicht nein. Genau wie die Hunde.»