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Teresa
Ein schöner Tag sagte sich an. Die Sonne war noch nicht zu sehen, sie stand hinter den östlichen Bergen und färbte den Himmel darüber gelb und rot. Doch das Morgenlicht füllte schon das Tal, das schattenlos in tiefster Stille dalag, als ob es mit offenen Augen schlafe. Alle Vögel schwiegen. Es war jener verzauberte Moment, wo der Tag zwar Tag, aber auch noch Nacht ist und so den Vorgeschmack des Himmels gibt, der ja ewiger Tag und ewige Nacht zugleich sein soll.
Die alte Teresa war schon auf dem Wege zur Arbeit. Jetzt, wo es so viel zu mähen gab, wartete sie nicht die Frühglocken ab, um aufzustehen. Ihre Wiesen hingen steil unter der Straße gegen den wilden Bach herunter und gaben hartes Gras, das die Alte sorgfältig mit der Sichel, Fleckchen für Fleckchen, oft Büschel für Büschel, abmähte. In ihren vielen Röcken bewegte sie sich gegen die Halde zu und maß in Gedanken im Voraus die große Hitze, die der Tag bringen werde. Gutes Heuwetter! Alles andere interessierte sie nicht.
Plötzlich blieb sie stehen, rückte ihren alten Strohhut auf den Hinterkopf und hob die Nase; sie ging ein paar Schritte weiter, blieb wieder stehen, drehte sich rundum, schnupperte nach rechts und links. – «Was ist das für ein Geruch?», sagte sie vor sich hin. Sie sprach oft mit sich laut, auch mit ihrer Kuh. –