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Der Engel

Arthur war keineswegs gedankenfaul, und er bildete sich wei­ter, indem er Kurse besuchte, die ihm gewandte Umgangsformen, Kochen, Fotografieren und Stenografie beibrachten. Er bemühte sich, den menschlichen Kontakt zu pflegen, doch wo er sich auch in die unsichtbaren Zelte einschleichen wollte, in welchen er die andern einzeln oder in Gruppen vermutete – stets stand ein Engel davor und verwehrte ihm den Eingang mit der Geste eines Coiffeurs, der es bedauert, keine weitere Kundschaft mehr bedienen zu können.

Arthur versuchte sich Bilder zu machen über einige Frauen und Männer und Kinder, die in seiner Straße wohnten, während andere ihm gleichgültig waren. Die Straße hieß Wölk­leinstraße und ihre Häuser waren grau und unterschie­den sich nicht voneinander. Auf einem Balkon stand ein Engel aus Gips, der ein niedliches Doppelkinn hatte und schon erwähnt wurde – vielleicht in einem etwas unverständlichen Zusammenhang; dort wohnte ein Bildhauer. In Gedan­ken stellte Arthur das Buffet der Leute, das er durchs Fenster sah, ihre Art, sich am Kragen zu zupfen, und ihre Wünsche, die den seinen glichen, zusammen, wie ein Kind sich aus einem Blatt, aus Zündhölzern, aus einem Apfelstiel und aus einem Taschentuch ein Haus baut, in welchem nicht nur seine Puppe wohnt, sondern auch es selbst, seine Freundin, ein Zwerglein aus einem Märchen und der Buchstabe R, den es neulich in der Schule lernte. Zu den Kindern hatte er aber keine Beziehung – er konnte sich kaum an seine Kindheit erinnern; wenn man ihn danach gefragt hätte, hätte er geantwortet: «Ich habe gespielt», doch niemand fragte ihn etwas, niemanden gelüstete es, ihn zu schütteln, wie man es mit einem Getränk in einer Flasche tut, bevor man es braucht. Er arbeitete in einem Büro, wo er jeden Morgen «Beginne!» las, ein Wort, das er auf ein Stück Karton gemalt und an die Wand geheftet hatte, und wo er während der Arbeit hie und da eine Bemerkung über ein Fußballspiel fallenließ. Er besaß keine Laster – selbst das Tragen einer Sonnenbrille bereitete ihm Unlust, da er sich durch sie betrogen fühlte; er liebte die Verdunkelung oder Verschleierung der Welt nicht, sondern fürchtete alles, was die Klarheit beeinträchtigte, oder das, was er für Klarheit hielt. Dass Worte mit der Endung «-ung» ihn mit Schauern des Wohlbehagens durchrieseln durften, war etwas anderes – er sprach sie mit einer wohlklingenden Stimme aus, die verblüffend laut aus seinem winzigen, lip­penlosen Mund strömte: «Sitzung», «Verschiebung», «Ordnung». Einmal war ihm aufgefallen, dass die linke Hälfte seines Gesichts stumpf aussah, gewalttätig, furchterregend, während die rechte Hälfte den Ausdruck eines schlafenden Kindes hatte. Diese Entdeckung beunruhigte ihn flüchtig, wie es jemanden erschreckt, wenn er merkt, dass er das Licht anknipst, um besser hören zu können.

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