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Es war Abend. Das Töchterlein, das nach Veras Mutter Saskia getauft worden war, lag auf seiner Matratze in der hin­tern Ecke des einzigen Raumes, dort, wo helle und dunkle Wolken wie gute und böse Engel hinter dem Fenster vor­bei­flogen; Hand in Hand oder Rücken an Rücken. Das Fenster hatte ein Stück des Ölbaumes abgeschnitten und eingerahmt. Saskias dunkle Lippen besaßen einen zarten, lilafarbenen Glanz wie die Lippen von Mulatten und öffneten sich leicht im Schlaf, die Wimpern glichen feinen, samtbraunen Blumen­blättern. Scheu betrachtete Vera die nun vollendete Zeichnung, die das Mädchen selber an der Wand neben dem Fenster befestigt hatte, und mit einer seltsamen, schmerzlichen Freude erkannte sie, dass sie darauf die Farben, die sie soeben so eigenartig glücklich gestimmt hatten, wiederfand; als ob das Kind, fasziniert von seiner äußeren Erscheinung, versucht hätte, sie dem Papier mit den knapp erzählten Wahrheiten aufzuprägen: Braun und lila waren die beiden Sonnen, und lila und braun war die mächtige Prinzessin, der nun langes, starkes Haar zum Kopf herauswuchs wie ein Gewirr von Seilen. Nur der Zwerg war weiß geblieben, durchsichtig; er schien unter der Last der Farben über ihm zusammenzubrechen. Plötzlich glaubte Vera, in ihm sich selber und in der aufgeblähten Prinzessin, die wie ein mit zwei strahlenden Kronen versehenes Untier in der Mitte thronte, ihre Tochter zu erkennen – oder war es Martha, die hier Atem holte, um ihr ein letztes Mal Widerwärtiges ins Ohr zu zischeln? Ekel würgte sie, wie sie ihn, seit sie hier einsam wohnte – umgeben von sauberem Sand, roten Felsen, glänzendem Wasser und einem Himmel, der so reinlich war wie das geplättelte Badezimmer ihrer verstorbenen Mutter – nicht mehr gekannt hatte. Dann aber sah sie ihre Tochter im Traum lächeln; sie beugte das Knie und küsste das Kind auf die von der Sonne verbrannte Wange, auf welcher ein wenig Sand klebte.

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