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Taddea hatte keinen Vater, und die Mutter kümmerte sich kaum um sie, denn abends ging sie meist ins Kino. Sie sagte, weil sie den ganzen Tag im Büro arbeite, brauche sie diesen Ausgleich, doch Taddea befürchtete, dass dieser Ausgleich anders beschaffen sei, als die Mutter vorgab. Ihre Schulkameradinnen sagten: «Deine Mutter ist eine Hure», und sie sagten, als wäre dies ebenso schlimm: «Deine Mutter hat das Haar gefärbt.» Seit Taddea ahnte, dass eine Hure mit dem sechsten Gebot in Zusammenhang stand, das sie während längerer Zeit nicht ganz begriffen hatte, das sich aber um Schlimmes drehte, um Dinge, die man im Kino sah, um Dinge, die der Pfarrer im Religionsunterricht verschwieg, war sie immer bedrückt. Einigen Schulkameradinnen war dieses Gebiet nicht fremd; sie tuschelten unverschämt lachend darüber, doch Taddea, die log, wie wir wissen, auch stahl, hielt sich da lieber fern; es genügte schon, wenn sich die Mutter damit befasste, die übrigens aus «gutem Haus» stammte, wie eine Tante erklärte, und daran hielt sich das Mädchen. Die Mutter selbst sprach nie davon. Taddea wusste nicht, ob die Mutter schön war, sie kümmerte sich nicht darum, nur ihr rotes Haar betrachtete sie jeweils argwöhnisch, als sei es das Symbol ihres sündhaften Lebens, und ihre Brüste, die ihr viel zu mächtig schienen, kamen ihr unangenehm vor. Überhaupt roch sie aufdringlich nach «Frau». Sie war noch sehr schlank, ihre Kleiderausschnitte waren zu groß, ihre Haut welk und gepudert, ihre Stimme rau, manchmal weckte sie Sehnsucht, Erinnerungen nach entschwundener Wärme, Geborgenheit, Vertrautheit, und das Mädchen starrte ihr in die Augen, als suche es dort etwas, doch ihr Blick wich immer aus. Einmal sah Taddea sie mit einem Mann, einem jener Männer wahrscheinlich, mit denen sie Verbotenes tat. Sie betrachtete die beiden genau, konnte aber nichts Besonderes entdecken: Sie waren ungezwungen, wie Erwachsene sind, kalt, böse lächelnd, arrogant, geheimnisvoll. Vielleicht war die Stimmung, die Taddea zu spüren glaubte, tatsächlich anders als die Stimmung, die gewöhnliche Menschen verbreiten; sie glich mehr Tabak, Alkohol, Kino, Dancing, gar nicht Tischtuch, Milch, Schuhputzcreme, Einkaufstasche und Wetterprognose.

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