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Als Taddea noch jünger gewesen war, glaubte sie, die Erwachsenen schenkten der Welt der Kinder Beachtung. Im Winter grub sie jeweils sonderbare Spuren in den Schnee, um die Passanten zu irritieren. Sie stellte sich vor, sie würden zueinander sagen: «Was für ein Tier ging hier wohl? Das war doch kein Hase, kein Reh, kein Fuchs, kein Hund?» Und am andern Tag würde in der Zeitung stehen: «Rätselhaftes Tier, ein Urtier vielleicht, ging durch unsere Stadt.» Doch nichts dergleichen geschah.

Übrigens schien das unstete Leben der Mutter, ihre Unruhe, ihr Jagen nach Abwechslung, nach Abenteuern, eine Flucht vor einer Last zu sein, eher das Vergessen dieser Last, die sie immer mit sich trug. Sie bestand aus Worten wie «Familie», «Verantwortung», «Stand», «Ehre», die plötzlich ihre Bedeutung für sie verloren hatten, denn ihr Vater, der letzte Spross einer vornehmen Familie, war ein Spieler, Trinker und Schürzenjäger gewesen und hatte das Vermögen verju­belt. (Sein Sohn, Onkel Theodor, den Taddea nie gesehen hatte, war Kommunist. Sie stellte sich diesen Beruf sehr schlimm vor.) Die Schwester der Mutter, Tante Sybill, die mit einer gerümpften Nase zur Welt gekommen war, lebte, ziemlich arm, für fremde Leute nähend, in einem Stübchen im Haus der verstorbenen Eltern und hütete das Klavier, die Familienfotos, gestickte Deckchen, verstaubte, dunkle Gemälde, schlecht gemalt, aber immerhin Onkel Alphons und Tante Lilly und Cousine Astrid darstellend, die alle längst tot waren. Die übrigen Räume hatte sie an ruhige, seriöse Leute vermietet. Taddea wollte, wenn sie einmal erwachsen sein würde, auch so leben wie Tante Sybill, die vor allem Widerwärtigen geschützt schien. Doch wenn sie sich im Spiegel betrachtete, konnte sie sich nicht vorstellen, wie dieses ruhige Leben, das nach Staub roch, nach Pfefferminz und Ge­ranienblüten, zu ihr passen würde, denn ihre schrägste­hen­den Augen, die die Farbe von dunklem Bier hatten, blickten wild, sie war geschmeidig und dünn, obwohl sie viel aß, heimlich geradezu leidenschaftlich Zucker verschlang, Hafer, Butterbrote, Eier.

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