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Eines Nachts träumte Taddea, ihre Mutter wandere in einem langen Korridor, immerzu, aber ohne kleiner zu werden, immerzu gegenwärtig wie das ewige Licht in der Kirche, das dem kleinen Mädchen von jeher unheimlich vorge­kommen war, und auf ihrem Kopf saß eine Katze, die fragte: «Du liebst mich?», nicht: «Liebst du mich?», woraus das Kind schloss, dass die Katze um seine Liebe zu ihr wusste und eigentlich nur der Form halber fragte. Das Tier war krank, und Taddea fühlte, dass es bald sterben würde, denn alle Blumen und Tiere, die in Mutters Obhut waren, starben über Nacht: Die Kakteen, der Kanarienvogel, die Schildkröte, der kleine Frosch. (Sehr zum Verdruss, aber, wie Taddea richtig empfand, auch zum Schmerz der Mutter, die nach diesen traurigen Erlebnissen vorgab, Pflanzen und Tiere zu verab­scheuen, aber dralle, lebhafte Hunde mit eifersüchtigem Lächeln lobte.)

Taddea erwachte. Die Uhr im Nebenzimmer schlug Mit­ternacht. In der Ferne sangen einige Italiener, Taddea stellte sie sich wie gigantische Engel vor, die singend Wolken kneten. Sie schlüpfte aus dem Bett und ging leise ins Schlafzimmer ihrer Mutter, sah jedoch, dass das Bett leer war. (Die Mutter brachte ihre Männer nie nach Hause. Vielleicht aus Rücksicht?) Sie trat ans Fenster. Die Nacht lag weich und warm wie Samt in den Gassen. Taddea beugte sich weit hinaus, um nach der Mutter Ausschau zu halten, die vielleicht mit der letzten Straßenbahn zurückgekehrt war (das Auto war zu jener Zeit zur Reparatur in einer Werkstatt) und nun allein durch die Straße ging, mit abwesendem Blick, ihr ­unglückliches, ein wenig slawisches Gesicht wie eine zerfetzte Fahne vor sich hertragend. Sie roch nach Wein, schien aber nie betrunken, und sie trug immer neue Kleider wie der Hydrant, ihre Augen waren schwarz glimmende Scherben, ihre Lippen geschabte Rüben, ihre Hände Krallen, die für Taddea Geld auf die Bank trugen, mechanisch, wie einem inneren Zwang gehorchend. Sie schien stets müde und doch gespannt, hie und da schrie sie ohne Grund, dann weinte sie und schenkte ihrer Tochter Schokolade.

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