Читать книгу Ein Bruder lebenslänglich. Vom Leben mit einem behinderten Geschwister онлайн

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Wieder einmal war ich mit meinem Bruder unterwegs, als mich eine Frau ansprach und sich erkundigte, was mit ihm denn los war. Ich erzählte freimütig von seiner schweren Krankheit und den Schwierigkeiten rund um ihn und mit ihm. «Es wäre besser, er wäre gestorben», war ihr Kommentar. Ich war entsetzt. Es war doch mein Bruder. Warum sollte er nicht mehr leben? Und doch, hatte das damals nicht auch schon die Grosse Tante angedeutet …?

Familiäre Frühförderung

Im Schuleignungsbericht ist von einem «schwachbegabten, jedoch gut geförderten Knaben» zu lesen.

Es gab damals noch keine heilpädagogische Frühförderung. Es war unsere Familie, welche die Förderung in ihren Alltag einbaute. Grossmutter war oft mit ihrem Enkel unterwegs. Der liebte das Spazieren und Herumreisen und zeigte reges Interesse an allem, was er sah. Grossmutter besuchte mit ihm auch verschiedene Wallfahrtsorte in der Hoffnung auf eine Besserung seines Zustandes.

Nach seiner Krankheit musste der Bruder das Gehen und Sprechen wieder neu erlernen. Beim Gehen blieb er unsicher. Um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, hielt er beim Rennen seine beiden Arme ausgespreizt wie zwei Flügel. Er fiel oft hin, hatte meist zerschundene Knie und überall blaue Flecken. Mit viel Mühe versuchten wir Schwestern dem Bruder auf dem roten Dreirad – ein ­Geschenk seines Patenonkels – das Radfahren beizubringen. Auf ­ei­nem Schwarz-weiss-Foto trägt er einen grossen Verband um den Kopf, da er mit seinem Dreirad über eine Mauer hinunterfuhr. Wir Geschwister hätten auf ihn aufpassen müssen, aber es ging alles so blitzartig!

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