Читать книгу Ein Bruder lebenslänglich. Vom Leben mit einem behinderten Geschwister онлайн

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Ich musste mit ansehen, wie meine Eltern weggingen. Mein Einwand, dass ich darüber wohl verzweifelt war, macht sie ratlos. «Was hätte ich denn sonst tun können? – In der Ausbildung wurde uns verboten, Kinder zu schlagen, Freiheitsberaubung hingegen war erlaubt.»

Tante Gret ist die einzige Schwester des Vaters. Sie war in der prestigeträchtigen Pouponnière in Genf als Nurse zur Kinderbetreuung in vornehmen Familien ausgebildet worden. Solche Stellen gab es aber vor allem im Ausland. So wurde sie von ihrer Ausbildungsstätte nach Frankreich an adlige Familien vermittelt. Es war ihre Aufgabe, kleine «Prinzen» aufzuziehen und zu erziehen. Ich erinnere mich an Erzählungen von alten Schlössern mit gigantischen Waffensälen und furchteinflössenden Fledermäusen. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, kehrte Tante Gret in die Schweiz zurück.

Plötzlich waren die Eltern wieder da. Sie waren in Rom gewesen und hatten den Papst besucht. So hatte man es mir erzählt. Das musste etwas ganz Besonderes gewesen sein, das war augenscheinlich. Im Elternschlafzimmer hing von nun an ein grosses Foto mit einem streng dreinblickenden Mann an der Wand. Es war Pius XII. Es gibt von damals auch ein Foto einer grossen Reisegruppe vor dem Petersdom. Wenn man ganz genau hinschaut, sind auch Mama und Papa darauf zu sehen, Mama in der Landestracht, daneben ein freundlich dreinblickender älterer Mann mit Bart und Glatze, Mamas Vater. Er war früher Chefbeamter bei der Bahn und organisierte nach seiner Pensionierung Pilgerzüge nach Rom und auch nach Lourdes. Nach Lourdes wollte die Mutter ihn nie begleiten. Diese Art von Frömmigkeit mochte sie nicht, vor allem das Rosenkranzbeten war ihr zu langweilig.

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