Читать книгу Ein Bruder lebenslänglich. Vom Leben mit einem behinderten Geschwister онлайн

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Später las uns die Mutter keine Geschichten mehr vor. Es blieb keine Zeit mehr dazu.

Unsere Grossfamilie

Wir lebten in einem alten Haus, das Platz für mehrere Familien bot. Das Haus lag am Stadtrand neben einem kleinen Wald. Unser Grossvater väterlicherseits kaufte dieses Haus in den Zwanzigerjahren. Grossmutter erfuhr erst davon, als der Handel perfekt war. Dann zog Grossvater mit seiner Familie dort ein. Zur Familie gehörten neben der Grossmutter fünf Kinder, vier Buben und ein Mädchen, die Tante Gret.

Unser Vater war der älteste Sohn. Er wurde nach seinem Vater getauft und trug seinen Vornamen bereits in der dritten Generation.

Der zweite Sohn, Josef, verstarb schon im Jugendalter an der Spanischen Grippe. Er klagte über Unwohlsein und war einige Tage bettlägerig. Dann habe er sich plötzlich an den Kopf zu schlagen ­begonnen und vor Schmerzen aufgeschrien, erzählte mir die Tante. Als der Doktor kam, war der Junge bereits tot. Später erfuhr ich von meinem Vater, dass sein Bruder einige Tage zuvor beim Schlittschuhlaufen auf den Hinterkopf gestürzt sei und für kurze Zeit bewusstlos war. Die Geschwister hatten sich jedoch nicht getraut, zu Hause etwas davon zu erzählen. War es vielleicht gar nicht die Spanische Grippe, sondern eine Gehirnblutung, welche den Bruder umbrachte? Ich frage mich, wie die Brüder – vor allem mein Vater als Ältester – dieses Wissen und vielleicht auch die Schuldgefühle so viele Jahre mit sich herumtragen konnten. Der verstorbene Bruder hätte Missionar werden wollen. Die beiden jüngeren Brüder wurden später zu katholischen Priestern geweiht.

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