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»Ach, Pasenow, Sie stellen zu eindeutige Fragen«, Bertrand hatte wieder das gewinnende Lächeln, mit dem er Differenzen zu überbrücken pflegte, »ich meine schon, daß Ehre ein sehr lebendiges Gefühl ist, bin indes auch überzeugt, daß überlebte Formen stets voller Trägheit sind und daß viel Müdigkeit dazu gehört, sich einer toten und romantischen Gefühlskonvention hinzugeben. Viel verzweifelte Ausweglosigkeit gehört dazu... «
Ja, Helmuth war müde gewesen. Doch was verlangte Bertrand? Wie mochte man sich dieser Konvention entledigen? Joachim fühlte mit Schaudern die Gefahr, daß man wie Bertrand ins Gleiten geraten könnte, wenn man der Konvention entrinnen wollte. Gewiß war er in seiner Beziehung zu Ruzena der strengsten Konvention schon entglitten, jetzt aber durfte es nicht weitergehen und die lebendige Ehre verlangte, daß er bei Ruzena bliebe! Vielleicht hatte Helmuth dies vorausgeahnt, als er ihn warnte, aufs Gut zurückzukommen. Denn dann war Ruzena verloren. So fragte er unvermittelt: »Was halten Sie von der deutschen Landwirtschaft?«, fast hoffend, daß Bertrand, der stets auch praktische Gründe bei der Hand hatte, ihn ebenfalls warnen werde, Stolpin zu übernehmen. »Schwer zu beantworten, Pasenow, besonders wenn jemand von der Landwirtschaft so wenig versteht wie ich,... wir haben ja alle noch das feudale Vorurteil, daß auf Gottes Erdboden die Beschäftigung mit diesem Boden auch die solideste Existenz darstellt.« Bertrand machte eine leicht wegwerfende Handbewegung, Joachim v. Pasenow war davon enttäuscht, freilich auch befriedigt, der Kaste dieser Bevorzugten anzugehören, während Bertrands unsichere Handelsexistenz sozusagen bloß als Vorstufe zu einer solideren Lebensform anzusehen war. Offenbar bereute er doch, das Regiment verlassen zu haben; wie leicht hätte er als Gardeoffizierein Guterheiraten können! Dies jedoch war eine Überlegung, die seines Vaters würdig gewesen wäre und Joachim schob sie beiseite, fragte bloß, ob Bertrand daran dächte, sich späterhin ansässig zu machen. Nein, meinte Bertrand, das würde er wohl kaum mehr tun, er sei wohl nicht der Mensch, den es lange an einem Platze leide. Und sie sprachen noch allerlei über Stolpin, über die dortigen Wildverhältnisse, und Joachim lud Bertrand ein, ihn zur Herbstjagd draußen zu besuchen. Und plötzlich läutete die Türklingel: Ruzena! durchfuhr es Joachim und fast feindlich sah er Bertrand an: nun sitzt er seit zwei Stunden hier, trinkt Tee und raucht; das ist ja kein Kondolenzbesuch mehr. Aber Joachim mußte sich gleichzeitig eingestehen, daß er selbst es gewesen war, der Bertrand in den Lehnstuhl und zum Bleiben genötigt und ihm Zigarren angeboten hatte, trotzdem er doch eigentlich hätte wissen müssen, daß Ruzena kommen werde. Jetzt natürlich, da es geschehen war, konnte man nicht mehr zurück; natürlich wäre es passender gewesen, wenn er Ruzena vorher gefragt hätte. Sie wird sich vielleicht doch gestört fühlen, wollte vielleicht selber die Heimlichkeit, die zu durchbrechen er sich jetzt anschickte, wollte in ihrer Güte vielleicht sogar vermeiden, daß er sich ihrer schämen müßte- vielleicht war sie wirklich nicht ganz gesellschaftsfähig; er konnte es nicht mehr beurteilen, denn wenn er sie sich vorstellte, sah er bloß ihren Kopf und ihre aufgelösten Haare in den Kissen neben sich, atmete den Duft ihres Körpers, wußte aber kaum mehr, wie sie in Kleidern aussah. Nun schließlich, Bertrand ist Zivilist, hat selber zu lange Haare, und da hatte dies alles weniger auf sich. Er sagte also: »Hören Sie, Bertrand, ich erhalte jetzt Besuch einer netten jungen Dame; darf ich Sie bitten, mit uns zu Abend zu speisen?« - »Oh, wie romantisch«, antwortete Bertrand, natürlich wolle er es gerne tun, wenn er nicht störe.