Читать книгу Die Schlafwandler онлайн
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Täglich, wenn der kleine einspännige Postwagen vom Morgenzuge zurückkehrte und beim Amt im Dorfe vorfuhr,Iehnte der Bote vom Gut bereits am Schalter, zwar nur ein Privatbote, dennoch zum Inventar des Postamtes gehörig, gewissermaßen selber zur Amtsperson geworden, vielleicht sogar über die beiden dort befindlichen Amtspersonen gesetzt, nicht etwa seiner persönlichen Leistung wegen, mag er auch schon selber im Dienste ergraut sein, wohl aber, weil er vom Gute kam und seine Würde eine Einrichtung war, die schon viele Jahrzehnte bestand, sicherlich in jene Zeit zurückreichte, in der es noch keinerlei Reichspost gab, sondern, selten genug, die Postkutsche durchs Dorf fuhr und ihre Briefschaften beim Kruge abgab. Die große schwarze Posttasche, deren Riemen seinem Anzug ein diagonales Abzeichen über den Schultern eingebrannt hatte, hatte so manchen Boten überlebt und sicherlich mochte sie aus dieser längst vergangenen und wohl auch besseren Zeit stammen; denn da ist keiner so alt im Dorfe, daß in seinen fernsten Jugendtagen nicht die Tasche schon an ihrem Haken gehangen und nicht der Bote schon am Postschalter gelehnt hätte, und jeder der Alten entsinnt sich und weiß auch alle die Gutsboten aufzuzählen, die mit dem diagonalen Streifen über der Jacke brav ihren Weg gegangen waren und die nun allesamt draußen auf dem Gottesacker ausruhten. So war die Tasche älter und ehrwürdiger als das neumodische Postamt, das nach dem Sturmjahr 1848 eingerichtet worden war, älter als der Haken, den man der Tasche zu Ehren oder gewissermaßen als letzte amtliche Huldigung für die Gutsherrschaft bei der Einrichtung des Postamtes dort eingeschlagen hatte, vielleicht auch als Mahnung, daß man der alten Sitten trotz des stürmenden Forschrittes nicht vergessen soll. Denn auch im neuen Postamt bestand die alte Gepflogenheit weiter, die Post der Gutsherrschaft bevorzugt zu behandeln und wahrscheinlich wird es auch heute noch so gehalten: war der Kutscher mit dem graubraunen Postbeutel hereingekommen und hatte er ihn mit jener verächtlichen Bewegung, die einem Postbeutel in den Augen eines gewöhnlichen Kutschers zukommt, auf den abgenützten Posttisch geworfen, hatte der Postmeister, der über die Würde menschlicher und amtlicher Einrichtungen besser Bescheid weiß, mit kaum verhehlter Feierlichkeit das Siegel und die Schnüre gelöst und die durcheinanderfallenden Postsachen der Größe nach in kleine Pakete geschichtet, um sie bequemer durchsehen und einteilen zu können, hatte sich solches der schönen Ordnung gemäß abgespielt, dann war es stets das erste, daß der Postmeister die Briefschaften des Gutes herauslegte und, ehe er etwas anderes tat, der Tischlade einen Schlüssel entnahm und zu der aufgehängten Tasche schritt, die mit ihrem gelben Messingbügel schweigend dieser Prozedur harrte; in der Mitte des Bügels sperrt sie der Postmeister auf, so daß sie aufklafft und ihm schamlos ihr graues Segeltuchfutter entgegenzeigt, und rasch, als könnte er den Anblick des klaffenden Leinenmaules nicht länger ertragen, läßt er die Briefe und Zeitungen und auch die kleineren Pakete hineingleiten, gibt dem Maule einen schwachen Schlag in den Unterkiefer, damit es zuklappe und sperrt die Messinglippen ab, versorgt den Schlüssel in der Lade. Der Bote aber, der bisher bloßer Zuschauer geblieben war, nimmt die schwere Posttasche, hängt sie sich mit dem harten brüchigen Riemen über die Schulter, nimmt die größeren Pakete in die Hand und bringt die Sendung solcherart ein oder zwei Stunden früher zum Gute, als dies dem amtlichen Briefträger, der erst das ganze Dorf abzulaufen hat, gelungen wäre; eine außerordentlich beschleunigte Zustellung, welche dartut, daß die Einrichtung des Gutsboten und seiner Tasche nicht nur die Fortführung einer schönen alten Tradition ist, sondern auch praktische Bedürfnisse der Herrschaft und der Leute auf dem Gute noch immer zu befriedigen vermag.