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Seitdem der Zug die Halle verlassen und sie mit flatterndem Spitzentüchlein Abschied genommen hatte, versuchte Elisabeth sich klarzumachen, ob sie Joachim liebe. Es war eine fast freudige Beruhigung, daß das Gefühl, welches sie als Liebe bezeichnen wollte, so sehr behutsam und zivilisiert auftrat; man mußte geradezu nachdenken, um es zu bemerken, denn es war ein so leichtes und dünnes Gebilde, daß es erst auf einem Hintergrund von silberiger Langeweile sichtbar wurde. Doch nun verbJaßten die sanften Konturen des Bildes, da die Langeweile sich zu steigender Ungeduld wandelte, je mehr sie sich der Heimat näherten, und als auf dem Bahnhof der Baron sie mit den neuen Pferden erwartete und gar als sie in Lestow einlangten, mit grünen Wipfeln des Parkes umfriedete Natur auftauchte, vorgelagert das Tor in ruhigerer Massigkeit, eine erste Überraschung, denn rechts und links vom Parkeingang waren zwei neue Pförtnerhäuser angebaut worden, so daß die Damen lebhafte Rufe des Erstaunens von sich gaben, und dies doch bloß der Auftakt war für das viele, das in den nächsten Tagen noch zu sehen und zu erleben sein würde, war es nur allzu verständlich, daß Elisabeth nicht mehr an die Liebe dachte. Hatte doch der Baron die Abwesenheit seiner beiden Damen oder, wie er sie zum Stolze Elisabeths manchmal nannte, seiner beiden Frauen wieder einmal dazu benützt, um im Hause mannigfache Verbesserungen und Verschönerungen vorzunehmen, die sie entzückten und dem Baron viele Worte des Lobes und des zärtlichen Dankes eintrugen. Sie hatten ja auch allen Grund, auf ihren kunstverständigen Papa stolz zu sein, der zwar keinen übermäßigen Respekt vor dem Bestehenden an den Tag legte und der dem alten Herrenhaus schon allerlei Verzierungen zugemutet hatte, der sich aber keineswegs auf das Architektonische beschränkte, sondern niemals vergaß, daß es immer Plätze an den Wänden gab, an denen sich ein neues Bild gut machte, eine Ecke, die man mit einer gewichtigen Vase schmücken konnte, ein Büffet, das mit einer goldgestickten Samtdecke zu versehen war, und er war der Mann, der danach handelte. Seit ihrer Verheiratung waren der Baron und die Baronin zu Sammlern geworden, und die stete Ausgestaltung ihres Heims wurde ihnen eine Verewigung des Brautstandes, auch dann noch, als die Tochter sich dazugesellt hatte. Elisabeth blieb es nicht verborgen, daß der Eltern Leidenschaft, die verschiedenen Geschenkfeste des Jahres zu begehen, die Geburtstage zu feiern und ständig auf neue Überraschungen bedacht zu sein, eine tiefere Bedeutung besaß und mit der Freude, ja, man konnte fast sagen Sucht, sich mit immer neuen Dingen zu umgeben, in einem tieferen, wenn auch schwer durchschaubaren Zusammenhang stand; zwar wußte Elisabeth nicht, daß jeder Sammler mit der nie erreichten, nie erreichbaren und doch unentwegt erstrebten lückenlosen Absolutheil seiner Sammlung hinauslangt über die gesammelten Dinge, in die Unendlichkeit hineinlangt, und daß er, aufgehend in seiner Sammlung, auch die Erreichung seiner eigenen Absolutheil erhofft und die Aufhebung seines Todes, Elisabeth wußte es nicht, aber umgeben vonallden vielen schönen toten Dingen, die um sie angesammelt und aufgehäuft waren, umgeben von den vielen schönen Bildern, ahnte sie dennoch, daß die Bilder an die Wände gehängt waren, als sollten sie die Mauern verstärken, und als sollten all die toten Dinge etwas sehr Lebendiges bergen, vielleicht auch verbergen und schützen, etwas, dem sie selber so sehr verbunden war, daß sie manchmal denken mußte, es sei ein kleines Geschwister, wenn ein neues Bild gebracht wurde, etwas, was gehegt sein wollte und das die Eltern hegten, als ob ihrer aller Beisammensein davon abhängen würde: sie ahnte die Angst, die dahinter stand und die den Alltag, der das Altern ist, im Festlichen zu übertönen suchte, Angst, die sich immer wieder vergewisserte - stets neu erlebte Überraschung-, daß sie lebendig und geboren und definitiv beisammen waren und ihr Kreis ewiglich geschlossen. Und so wie der Baron immer neue Strecken seines Bodens in den Park einbezog, dessen dichter dunkler Bestand nun schon fast von allen Seiten mit weiten Flächen freundlichen lichten Jungholzes umgeben war, so schien es Elisabeth, als wünschte er mit fast weiblicher Fürsorge ihrer aller Leben zu einem immer größeren eingefriedeten Park voll anmutiger Raststationen zu machen und als wäre er erst am Ziele und von jeglicher Angst befreit, wenn sich der Park über die ganze Erde ausgebreitet haben würde, Ziel seiner selbst, Park zu sein, auf daß Elisabeth sich für immer in ihm ergehen möge. Zwar widersetzte sich manchmal etwas in ihr solch sanfter unentrinnbarer Verpflichtung, aber da die Auflehnung fast niemals sehr deutlich wurde, verfloß sie mit den sonnigen Konturen der Hügel, die draußen hinter der Einfriedung des Parkes lagen.

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