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Dann kam Joachim und Elisabeth war wieder enttäuscht, denn sie hatte sein Bild in Uniform im Gedächtnis gehabt und er war jetzt mit dem ländlichen Jagdanzug bekleidet. Sie waren fremd und befangen, und selbst als sie mit den anderen in den Salon zurückgekehrt waren und Elisabeth vor dem Käfig des Kanarienvogels stand, dem sie einen Finger zwischen die Stäbe steckte, damit er zornig darauflospicke, selbst als sie da beschloß, daß sie in ihrem eigenen Salon - sollte sie je heiraten - solch einen kleinen gelben Vogel stets werde haben wollen, selbst da konnte sie Joachim mit einer Heirat nicht mehr in Verbindung bringen. Aber das war eigentlich bloß angenehm und beruhigend und erleichterte es ihr, beim Abschied zu verabreden, daß er sie bald zu einem Spazierritt abholen müsse. Vorher würde er natürlich Besuch bei ihnen machen.

Bertrand hatte es endlich ermöglicht, der Einladung Pasenows zu folgen und war mit einem Abendzug zu zweitägigem Zwischenaufenthalt in Berlin eingetroffen. Es verstand sich, daß er sich um Ruzena kümmern wollte: er ging geradenwegs ins Theater und schickte ihr mit ein paar Blumen Botschaft in die Garderobe. Ruzena freute sich über seine Karte, freute sich über die Blumen, und es schmeichelte ihr, daß Bertrand sie beim Bühneneingang erwartete. »Nun, kleine Ruzena, wie geht's?« Und Ruzena erzählte sofort sprudelnd, daß es sehr gut, sehr gut, oh, eigentlich gar nicht gut gehe, weil sie so große Sehnsucht nach Joachim habe, aber jetzt gehe es ihr natürlich gut, weil sie sich schrecklich freue, daß Bertrand, der doch ein so guter Freund von Joachim sei, sie abhole. Als sie dann beim Essen einander gegenübersaßen und vielerlei über Joachim gesprochen hatten, wurde Ruzena, wie dies oft bei ihr geschah, plötzlich traurig: »Jetzt fahrens Sie zum Joachim und ich hab' dableiben; ist Ungerechtigkeit auf die Welt.«- »Natürlich ist Ungerechtigkeit auf die Welt und eine viel ärgere noch als du denkst, kleine Ruzena«- es erschien ihnen beiden angemessen, daß er Du zu ihr sagte-, »und ein wenig hat mich auch die Sorge um dich hergeführt.«- »Wie meinen das?«- »Ja, es paßt mir nicht, daß du in dieser Theaterwirtschaft steckst.« »Warum? Ist doch schön.« - »Es war voreilig von mir, euch nachzugeben ... bloß weil ihr Romantiker seid und euch unter dem Theater weiß Gott was vorgestellt habt.« »Versteh' ich nicht, was meinen.« -»Macht nichts, kleine Ruzena, aber es ist ausgeschlossen, daß du dabei bleibst. Schließlich, wohin soll das führen? Was soll aus dir, Kind, schließlich werden? Man muß doch für dich sorgen und mit Romantik kann man für niemanden sorgen.« Ruzena sagte steif und stolz, daß sie schon allein für sich sorgen werde; sie brauche niemanden und er soll nur gehen, der Joachim, wenn er sie verlassen will, soll er nur gehen, »und Sie sinds schlechter Mensch, nur hergekommen, um Freund schlecht machen«; sie weinte und sah Bertrand unter Tränen feindselig an. Es war nicht leicht, sie zu beruhigen, denn sie blieb dabei, daß er schlechter Mensch und schlechter Freund sei, der ihr so schönen Abend verderben will. Und mit einem Male wurde sie ganz blaß und heftete entsetzte Augen auf ihn: »Hat Ihnen hergeschickt, sagen, daß aus ist?!« - »Aber Ruzena!« - »Nein, können zehnmal sagen nein, ich weiß, daß es so ist, oh, sinds schlecht alle beide. Habens mich hergebracht zu Schande.« Bertrand begriff, daß mit Vernunftgründen da nichts auszurichten war; aber vielleicht war in ihrem ungeschickten Verdacht sogar eine Ahnung von dem wahren Sachverhalt und seiner Hoffnungslosigkeit. Sie sah ratlos aus wie ein kleines Tier, das nicht mehr aus noch ein weiß. Und doch war es vielleicht gut, wenn sie nüchterner in die Zukunft blickte. So schüttelte er bloß verneinend den Kopf: »Sagen Sie, Kind, könnten Sie nicht, solange Joachim fort ist, in Ihre Heimat zurück?« Sie hörte nur heraus, daß sie weggeschickt werden sollte. »Aber Ruzena, wer will Sie denn wegschicken! Aber anstaU daß Sie hier allein in Berlin und bei diesem sinnlosen Theater sind, wäre es doch besser, Sie wären bei Ihren Leuten... « Sie ließ ihn nicht ausreden: »Hab' niemand, alle sind schlecht auf mich... hab' niemand und Sie wollens mich wegschicken.«- »Ruzena, nimm doch Vernunft an; wenn Pasenow wieder in Berlin ist, kommst du auch wieder zurück.« Ruzena hörte ihn nicht mehr, wollte fortgehen, wollte nichts mehr wissen. Aber er mochte sie so nicht fortlassen und dachte, wie er sie auf andere Gedanken bringen könnte; schließlich hatte er den Einfall, daß sie einen gemeinsamen Brief an Joachim schreiben sollten. Ruzena war sofort einverstanden; also ließ er Papier bringen und schrieb darauf: »An einem fröhlichen Abend Ihrer herzliehst gedenkend, senden schöne Grüße Bertrand«, und sie fügte hinzu »und viele Pussi von Ruzena.« Sie drückte einen Kuß auf das Papier, aber die Tränen wollten nicht versiegen. »Ist aus«, wiederholte sie und verlangte, heimgebracht zu werden. Bertrand gab nach. Doch damit er sie in ihrer hilflosen Stimmung nicht zu bald verlassen müsse, schlug er vor, zu Fuß zu gehen. Sie zu beruhigen- Worte versagten ohnehin-, hatte er wie ein guter braver Arzt ihre Hand gefaßt; sie schmiegte sich ein wenig dankbar und Halt suchend an ihn und überließ ihm die Hand mit leisem Druck. Ein kleines Tierchen ist sie, dachte Bertrand, und zur Richtigstellung der Situation sagte er: »Ruzena, ich bin doch schlechter Mensch und dein Feind«, aber sie antwortete nichts. Eine leichte und doch zärtliche Erbitterung über die Verwirrtheit ihres Denkens stieg in ihm auf und erstreckte sich auch auf Joachim, den er für Ruzena und ihr Schicksal verantwortlich machte und der doch nicht minder verwirrt schien als das Mädchen. Mag sein, daß es die Wärme ihres Körpers war, die er spürte, er hatte einen Augenblick lang den bösartigen Gedanken, Joachim würde es verdienen, daß man ihn mit Ruzena betröge, aber das war nicht ernsthaft und er fand bald zu dem liebenswürdigen Wohlwollen zurück, das er sonst stets für Joachim empfunden hatte. Joachim und Ruzena schienen im Wesen, die nur mit einem kleinen Stück ihres Seins in die Zeit, die sie lebten, in das Alter, das sie besaßen, hineinreichten und das größere Stück war irgendwo anders, vielleicht auf einem andern Stern oder in einer andern Zeit oder auch nur bloß in der Kindheit. Bertrand fiel es auf, daß überhaupt so viele Menschen verschiedener Zeitalter zugleich miteinander lebten, und sogar gleichaltrig waren: deshalb wohl ihrer aller Haltlosigkeit und die Schwierigkeit, sich miteinander rational zu verständigen; merkwürdig nur, daß es trotzdem so etwas wie eine menschliche Gemeinschaft und überzeitliche Verständigung gibt. Wahrscheinlich müßte man auch Joachim bloß die Hände streicheln. Was sollte und konnte er mit ihm sprechen? Welchen Zweck hatte überhaupt dieser Besuch in Stolpin? Bertrand war verärgert, aber dann erinnerte er sich, daß er mit Joachim über das Schicksal Ruzenas sprechen werde; dies gab der Reise und der verschwendeten Zeit einen ordentlichen Sinn und, wieder guter Laune, drückte er Ruzenas Hand.

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