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Während die Gesellschaftsräume mit Parketten belegt waren, hatten die Gastzimmer im zweiten Stockwerk bloß gebohnte Böden, große Tafeln aus weichem, weißem Holze, die durch etwas dunklere Leisten voneinander getrennt waren. Es mußten mächtige Stämme gewesen sein, aus denen man diese Tafeln einst geschnitten hatte, und wenn es auch nur weiches Holz war, so zeugte die Regelmäßigkeit und die Größe von dem Wohlstand des einstigen Bauherrn. Die Fugen zwischen den Leisten und Tafeln waren scharf gestoßen und wo sie sich später infolge der Eintrocknung des Holzes erweitert hatten, waren sie durch Klemmspäne so sauber aufgefüllt, daß man es kaum merkte. Die Möbel waren wohl vom Dorftischler angefertigt worden und mochten aus jener Zeit stammen, da die napoleonischen Truppen durch die Gegend gezogen waren; zumindest mußte man dar an denken, da sie entfernt an jenen Stil erinnerten, den man Empire nennt, aber es konnte trotzdem sein, daß sie etwas älter oder etwas jünger waren, denn sie wichen mit mancherlei gebauchten Formen von der Geradlinigkeit jener Epoche ab. Hier war ein Spiegelkasten, dessen Glasscheibe höchst unvermittelt durch einen senkrechten Holzstab geteilt war, es gab Kommoden, die mit zu viel oder zu wenig Laden gegen eine reine Architektonik verstießen. Aber wenn auch diese Möbel fast planlos an den Wänden aufgereiht waren, wenn auch das Bett in möglichst unzweckmäßiger Weise zwischen zwei Türen gestellt und der große weiße Kachelofen schräg in seiner Ecke eingezwängt war zwischen zwei Schränken, so machte das geräumige Zimmer dennoch den Eindruck des Behäbigen und Gelassenen, freundlich, wenn die Sonne durch die weißen Vorhänge schien und die Fenster mit ihren Kreuzen sich in der glänzenden Politur der Möbel spiegelten. Dann mochte es sogar auch jetzt vorkommen, daß man das große Kruzifix, welches oberhalb des Bettes den Raum schmückte, nicht mehr als Zier oder als gewöhnlichen Einrichtungsbestandteil wertete, sondern daß es wieder zu dem wurde, als das man es einstens hier angebracht hatte: als Wächter und Erinnerung für den Gast, mahnend, daß er in einem Hause christlicher Gemeinschaft wohne, in einem Hause, das wohl mit mancherlei für sein leibliches Gedeihen sorgte, und aus dem er in fröhlicher Gesellschaft zur Jagd ausziehen durfte, zurückzukehren, um dem Jagddiner und seinen vielen schweren Weinen zuzusprechen, einem Hause, in dem die Jäger sich auch manchen kräftigen Witz erlaubten und wo man in jenen Zeiten, da die Möbel des Zimmers angefertigt worden waren, auch noch ein Auge zudrückte, wenn einem eine Magd gefallen wollte, wo man es aber trotzdem als selbstverständlich erachtete, daß der Gast, und war er vom Weine noch so müde, des Abends das Verlangen haben werde, seiner Seele zu gedenken und seine Sünden zu bereuen. Und es entsprach einer solchen, im Grunde strengen Denkungsart, daß über dem mit grünem Rips bespannten Kanapee ein strenger und nüchterner Stahlstich hing, der bei vielen Besuchern die Erinnerung an die Königin Luise erweckte, denn es war eine hohe Frau in antiker Kleidung darauf abgebildet- »La mere des Gracches« war das Bild betitelt- und nicht nur dieses Kostüm gemahnte an das der Königin, sondern es ließ auch der Altar, zu dem sie emporwallte, an den Altar des Vaterlandes denken. Gewiß, die meisten der Jäger, die in diesem Zimmer schon übernachtet hatten, haben ein weltliches Leben geführt, zupakkend, wo Vorteil und Genuß sich eben bot, haben sich auch nicht gescheut, die Ernte oder die Schweine mit großem Nutzen an den Händler zu verkaufen, waren einer barbarischen Jagd hingegeben, bei welcher Gottes Kreatur in Massen über den Haufen geschossen wurde, und viele von ihnen waren auch nach Weiberfleisch gierig: aber so sehr sie auch das herrisch-sündhafte Leben, das sie führten, als ein von Gott verliehenes gutes Recht und Vorrecht hinnahmen, so waren sie doch bereit, es jederzeit für die Ehre des Vaterlandes oder zum Ruhme Gottes zu opfern, und kamen sie auch nicht in die Lage es zu tun, so war die Bereitschaft, das Leben als etwas Nebensächliches und kaum Erwähnenswertes zu betrachten, so stark, daß dessen Sündhaftigkeit kaum in der Waagschale lastete. Und sie fühlten sich frei von jeder Schuld, wenn sie im morgendlichen Nebel durch das leise knackende Unterholz schritten oder wenn sie abends den Hochsitz auf schmaler steiler Leiter erklommen und über Gebüsch und Lichtung, in der die Mückenschwärme noch tanzten, zum Saume des Waldes hinüberschauten: wenn dann der feuchte Geruch des Grases und des Holzes zu ihnen aufstieg und über das dürre Geländer des Hochsitzes eine Ameise lief, um in der Rinde sich zu verlieren, dann konnte es geschehen, daß in ihrer Seele, obwohl sie doch Kerle waren, die fest und konsequent auf ihren Beinen standen, etwas erwachte, das wie Musik klang und das Leben, das sie gelebt und noch zu leben hatten, so sehr auf einen einzigen Augenblick zusammendrängte, daß sie die Hand der Mutter noch auf dem kindlichen Haar liegen fühlten wie für alle Ewigkeit, und doch der vor ihnen schon stand, durch keine Spanne Zeit, keine Spanne Raum mehr von ihnen getrennt, der, den sie nicht fürchteten: der Tod. Dann konnte alles Holz ringsum zum Holz des Kruzifixes werden, weil nirgends Magisches und Irdisches so eng beisammen wohnt wie im Herzen des Jägers, und wenn der Bock am Rande der Lichtung auftaucht, dann ist die Erleuchtung noch gewärtig und das Leben scheint noch immer zeitlos, augenblicklich und ewig, zusammengeballt in der eigenen Hand, so daß der Schuß, der das fremde Leben tötet, wie ein Sinnbild ist und Notwendigkeit, das eigene in die Gnade zu retten. Immer zieht der Jäger aus, um das Kreuz im Geweih des Hirsches zu sehen, und um der Erleuchtung willen scheint ihm der Preis des Tötens nicht zu hoch. So auch vermag er es, kehrt er von reichlichem Jagddiner in sein Zimmer zurück, nochmals den Blick zum Kruzifix zu erheben und, wenn auch schon aus weiterer Ferne der Ewigkeit zu gedenken, in die sein Leben eingebettet ist. Und vielleicht fällt angesichts dieser Ewigkeit auch die Reinlichkeit des Leibes nicht schwerer ins Gewicht als die Sündigkeit ihres irdischen Lebens: auf dem Waschtisch steht ein Bekken, dessen Kleinheit zu den Formen des Jägers und zu den sonstigen Dimensionen seines Lebens in seltsamem Widerspruch steht, und auch der Krug vermag viel weniger Wasser zu fassen, als der Jäger an Wein zu trinken imstande ist. Auch das schmale Nachtkästchen neben dem Bette, das in Gestalt einer kaschierten Lade dem Geschirre Raum bietet, schreibt diesem bloß geringfügige Abmessungen zu. Der Jäger benützt es und wirft sich krachend ins Bett.

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