Читать книгу Das Rennen gegen die Stasi. Die Geschichte des Radrennfahrers Dieter Wiedemann онлайн

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Welche Mythen sich auch um sie ranken mögen, sind Radsportlegenden wie Fausto Coppi oder Eddy Merckx letzten Endes nicht mehr als sehr berühmte Radrennfahrer. Obschon er im Westen Deutschlands weitgehend unbekannt blieb, war Täve Schur etwas völlig anderes. Durch diesen ersten Sieg bei der Friedensfahrt wurde er nicht nur zu dem Sportidol der Menschen in der DDR, sondern auch zum Vorzeigehelden des Staates DDR als solchem. Als überzeugter Kommunist und SED-Mitglied war er das perfekte Maskottchen für ein einzigartiges soziopolitisches Experiment, für die Errichtung eines idealtypischen Proletariats nach sozialistischem Zuschnitt. Man benannte einen Planeten nach ihm, veröffentlichte zahlreiche Biografien, die zu Bestsellern avancierten, und hielt seinen Namen und alles, wofür er stand, in Ehren. Jedes Jahr im Mai skandierten hunderttausende Kinder seinen Namen. Täve war Karl Marx und Gino Bartali, Elvis Presley und Roy Rogers. Er war Frauenschwarm und Philosoph, Diplomat und Proletarier. Er war einer, der allen Menschen gerecht wurde. Täve Schur war die Personifizierung des »neuen Menschen«. Für die Politik war dieser Mann schlichtweg Gold wert; er war die lebende Synthese der Überlegenheit des Sozialismus. Ein eindrucksvoller Beleg findet sich im Friedensfahrt-Museum in Kleinmühlingen, wo abertausende Briefe aufbewahrt werden, die überschwängliche Menschen an Täve Schur geschrieben haben. Ein Großteil stammte von der weiblichen Bevölkerung. Einige lesen sich überraschend anzüglich (zumindest nach den puritanischen Standards der DDR in den 1950ern), und die meisten gipfeln in Heiratsanträgen.

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