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«Hör’ Mama, ich komme rasch hinüber … auf Wiedersehen!» Gertrud hing den Hörer entschlossen an, sah nach den Kindern, die auf der Terrasse an der Sonne schliefen, gab dem Mädchen ihre Anweisungen und machte sich auf den Weg.

Es war Mitte März, vor zwei Tagen hatte es noch geschneit, in den Gärten ruhte unverändert die harte Wintererde, und die Bäume waren kahl wie im Januar; dennoch lag jetzt ein warmer, klarer Frühlingstag über der Stadt, der Schnee war geschmolzen, der leicht erregte See schimmerte bläulich grün, und dahinter in der südlichen Ferne erschien unter dem blauen Himmel die fleckenlos weiße Kette der tiefverschneiten Alpen. «Föhn!» dachte Gertrud, als sie über die Quaibrücke schritt, verzögerte den Gang ein wenig und schaute nach den Bergen; dabei stieß sie fast mit einem Bummler zusammen und schlug sofort wieder ihre gewohnte Gangart an.

Sie wanderte mit ihren ausgiebigen, freien, leicht federnden Schritten weiter dem See entlang. Dieses bloße Schreiten war ihr eine Lust, und der schöne Tag, der den trüben Winter zwar nach allen Erfahrungen nicht beendete, aber endlich den Frühling sichtbar verhieß, machte sie heiter. «Wenn es doch immer so wäre!» dachte sie aufatmend. «Wenn man doch immer so frei und ledig wandern könnte, fort von allem, in die schöne Welt hinaus!» Aber sogleich fielen ihr die Kinder ein, die daheim auf der Terrasse schliefen, und mit den Kindern tauchte der ganze Lebenskreis auf, in den sie verflochten war. Sie würde ihm niemals entrinnen können, die Menschen schleppten ja alle ihren Alltag, ihre Beziehungen, ihren Besitz und ihre Stellung wie Blei an den Füßen mit. Es gab nur eine innere Freiheit, die äußere mußte eine Sehnsucht bleiben und war oft nicht einmal ein ernstlicher Wunsch. Sie wünschte wohl, mit beiden Kindern, eins im rechten, eins im linken Arm, ungebunden fortzuwandern und eine neue Luft zu atmen, aber sie würde doch nicht alles aufgeben können. Den gesicherten Verhältnissen, den Gewohnheiten ihres gepflegten Lebens, dieser Stadt, die sie allen Städten der Welt vorzog, und schließlich den Eltern würde sie wohl niemals davonlaufen wollen.

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