Читать книгу Meine weisse Stadt und ich. Das Bernbuch онлайн
65 страница из 119
Ich wandte mich von ihm ab. Wie konnte er mir das erzählen, dachte ich, nur zehn Jahre später? Und warum mir? Warum erzählte er ausgerechnet mir diese schreckliche Geschichte! Seine Stimme dröhnte in meinen Ohren, wiederholte die Einzelheiten, bis ich Lust hatte, ihm ins Gesicht zu spucken. Ich drehte mich wieder zu ihm um und legte ihm die Hand auf die Schulter. ‹Warten Sie!›, sagte ich. Aber er hörte mich gar nicht.
‹Sie haben mich nicht mitgenommen, weil ich nicht so aussah wie ein Jude. Wie um Himmels willen sieht ein Jude denn aus!› Schweigend kehrten wir langsam zurück. Wir sahen uns nicht an. Und beim Gehen dachte ich, er beichtet es allen Leuten, weil er seine Identität verborgen hat und nicht mit den Mitgliedern seiner Familie gestorben ist … Er assoziiert mich mit ihm, weil ich schwarz bin …
Bei dieser Vorstellung überkam mich ein Gefühl von Mitleid, vermischt mit Übelkeit; nicht aufgrund dessen, was er erlitten hatte, sondern weil mir bewusst wurde, dass er ein perverses Vergnügen daran fand, die intimen Einzelheiten des Todes seiner Familie zu erzählen, an dem Schmerz, den er sich selbst und anderen zufügte.