Читать книгу Meine weisse Stadt und ich. Das Bernbuch онлайн

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Wir kamen zum Stadtzentrum. Er musste nach rechts, ich geradeaus. Wir verabschiedeten uns und gingen unserer Wege. Ich sah den Grafologen nie wieder.

Inzwischen war ich so aufgewühlt, dass dieses Gefühl all meine Handlungen beherrschte. Ich hatte kein Zimmer finden können. Die Zeit verstrich, und ich machte mir Sorgen wegen meiner Stellung in der Welt. Überall lauerten Gefahren. Ich fasste einen Entschluss, den ich langsam in die Tat umsetzte, wenn auch sehr indirekt. Nachdem ich mich von dem Gra­fologen getrennt hatte, bestand meine erste entscheidende Reaktion darin, Descartes’ Haus aufzusuchen. Es erinnerte mich an sein Schicksal durch die Hand der Kirche, und das war alles andere als eine fröhliche Reminiszenz. Und für den Fall, dass das nicht reichte, um mir die Entscheidung, die ich getroffen hatte, vor Augen zu führen, schaute ich mir auch noch Rembrandts alte Residenz an, um mir erneut ins Gedächtnis zu rufen, wie er fast verhungert war, weil er sich ge­weigert hatte, so zu malen wie die Bürgerschaft es von ihm verlangte. Nach diesem Besuch spürte ich, wie die unsichtba­ren Flammen des Nationalsozialismus, des Judentums, des Katholizismus und des Puritanismus zu meinen Füßen flackerten. Ich erinnerte mich an die Hexenverfolgungen in New England. Ich sah, wie im tiefsten Winter zitternde Grüppchen von holländischen Puritanern – darunter auch Juden, zweifellos – an der windzerzausten Küste von Plymouth standen. Und dann spaltete sich der entscheidende Gedanke von meinen Gefühlen ab. Das war der Ort, aus dem sie geflohen waren! Und deshalb war klar: Das ist kein Ort für mich.»

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