Читать книгу Die Bargada / Dorf an der Grenze. Eine Chronik онлайн

14 страница из 81

War er nicht ums Haus herum mit seinen Marmeln beschäftigt, konnte man sicher sein, ihn bäuchlings auf einer Bank oder Mauer liegend zu finden, die Ellenbogen aufgestützt und den Kopf mit dem braunen Haar über ein Buch gebeugt. Er las. Er las alles, was er fand. Sein Schulbuch wußte er auswendig. Die spärliche Schulbibliothek bot ihm nichts Neues mehr. So hatte er sich der Bücher bemächtigt, die von früher her in einem Schrank auf dem Estrich standen: vergilbte Kalender, Reisebeschreibungen, Heiligenlegenden und Wundermären. Er las sie immer wieder, andächtig. Was er nicht verstand, träumte er dazu. Neben den Geschichten enthielten viele der Bücher Bilder, die Bernardo mehr noch fesselten als der Text. Mit Ehrfurcht schlug er die bunten Seiten auf. Er kannte sie alle bis in die letzte Einzelheit, so lange und so oft hatte er sie betrachtet.

Da waren ungewöhnliche Landschaften zu sehen: Felsen, zehnmal so hoch und so gefährlich, so seltsam zu Fratzen ausgezackt wie der Grat im Norden des Dorfes, jener Grat, der eine liegende Frau mit hohem Leib und gespreizten Beinen darstellte, über deren unschickliches Benehmen er sich wunderte; wilde Meere, auf denen Menschen in kleinen zerbrechlichen Booten den Walfisch jagten, das Riesenungetüm aus der Bibel, das Jonas verschluckte; der verlorene Sohn, der aus Schweinetrögen aß, aussah wie ein Taglöhner und dann doch, auf einer andern Seite des Buches, sich wunderbarerweise wieder nach Hause fand, wo er herzlich aufgenommen wurde; Urwälder, in denen die ersten Christen, fast nackt, gegen gewaltige Bärinnen kämpften, als leuchtendes Beispiel von Mut und Glaube. Doch auch das Konterfei des Mondes war zu betrachten. Daß man es eben wisse, der Mond war keine freundliche Frau, er war eine Kugel, über und über blatternnarbig wie das Gesicht Cechs, jenes Taglöhners, den die Sonne zu Tode gestochen hatte, daß er am Abend leblos im Grase lag, worüber man nie fertig wurde, nachzudenken, denn was war es eigentlich: tot? Die blatterige Kugel war häßlich, und Bernardo überschlug die Seite gerne. Es gab ja andere, ganz andere Bilder. In einem mit Blumenkränzen verzierten Rund saß eine schöne Frau mit langem, goldenem Haar an einem Brunnentrog, in den Figuren eingeschnitten waren halb Fisch, halb Mädchen. Sie umwanden sich und quollen durcheinander wie Schlangen. Die Frau aber streckte ihre Hand ins Wasser und schaute Bernardo lächelnd und etwas wehmütig an. Wie er das Bild auch hielt, die Frau sah ihn an. Sogar wenn er es an die Wand lehnte und sich davon entfernte, nach rechts oder nach links auswich, sah ihn die Frau an. Dies zu erproben, war ein erregendes Spiel, und er spielte es, bis ihm das Herz im Halse klopfte.

Правообладателям